Familienaufstellungen sind bei Patienten und Klienten zunehmend beliebt. Sie haben sich seit Jahrzehnten in der Psychotherapie und im Coaching bewährt. Dieser Beitrag stellt die wesntlichen Grundzüge der Aufstellungarbeit dar und erläutert ihren praktischen Nutzen.
Liest man die Empfehlungen für ein gesundes Leben, erscheint vieles selbstverständlich: angemessene Bewegung, ausgewogene Ernährung, Genussgifte möglichst meiden, Wege zum Stressabbau finden. Warum nur schaffen wir es manchmal nicht, diese Gesundheitstipps zu beherzigen? Selbst nach einer kritischen Diagnose scheinen die einfachsten Verhaltensänderungen oft nicht umsetzbar.
Was hindert uns daran, es uns gut gehen zu lassen?
Zahlreiche Verhaltensmuster sind mit Methoden der Individual-Therapie beeinflussbar. Bringt das Gespräch trotz Einsicht keinen Erfolg, lohnt es sich oft, schädliche Glaubenssätze mithilfe der Hypnosetherapie aufzulösen. Die unterschiedlichsten Überzeugungen sind in unserem Unterbewusstsein verankert und machen uns das Leben schwer. Der Einfachheit halber, verwende ich hier das Beispiel des Nikotin-Konsums:
„Rauchen hält schlank. Wenn ich nicht mehr rauche, werde ich dick.“ könnte ein solcher Glaubenssatz sein.
Manchmal geraten Patienten und Therapeuten auch nach dem Aufspüren und Lösen der Glaubenssätze an scheinbar unüberwindbare Grenzen. Hynose ist keine Zauberei.
Will der Patient im tiefsten Inneren seines Herzens das Rauchen nicht lassen, kann kein Therapeut der Welt ihn davon abhalten. Genauso gut könnten wir andere Risikofaktoren für alle möglichen Krankheitsbilder anführen. Warum treibt der Diabetes-Patient keinen Sport? Wieso geht der Manager nach dem zweiten Herzinfarkt zurück in sein Workoholic-Dasein? Was hält den ansonsten gesunden jungen Mann davon ab, nach dem dritten Bandscheibenvorfall sein Übergewicht zu reduzieren?
Der systemische Ansatz
Eine sinnvolle Erklärung für das scheinbar absurde Verhalten findet man erst durch eine systemische Betrachtung. Sie weitet den Blick und führt ihn vom einzelnen hin zum ganzen System mit all seinen Verstrickungen, Wechselwirkungen und verborgenen Dynamiken. Hier eröffnen sich hoffnungsvolle Therapieansätze, die den familiären Hintergrund mit einbeziehen. Die Anwesenheit der anderen Familienmitglieder bei der Behandlung ist möglich, aber nicht erforderlich.
Im Bereich der systemischen Familientherapie haben verschiedene Psychotherapeuten weltweit anerkennenswerte Arbeit geleistet. Im deutschsprachigen Raum ist seit den 1980er Jahren vor allem Bert Hellinger mit seinen Familienaufstellungen bekannt geworden. Seine Person ist umstritten. Er polarisiert stark. An dieser Diskussion wollen wir uns hier nicht beteiligen, sondern uns lieber der Methode zuwenden. Hellinger hat in seinen zahlreichen Publikationen die Dynamiken dargestellt, die in Familiensystemen unbewusst wirken.
Dynamiken im System
Während einer Familienaufstellung zeigen sich die Dynamiken, die sonst im Verborgenen wirken. Hier ein paar Grundregeln zum Verständnis: Das Familiengewissen bindet. Beim Familienstellen wird der Begriff des Gewissens anders verwendet, als wir das landläufig tun. Um das Familiengewissen zu erklären, nehmen wir ein plakatives Beispiel: Der Vater ist ein Mafia-Boss, der Opa war schon eine Mafioso, die Brüder sind auch alle kriminell. Wie geht es jemandem aus dieser Familie, der beschließt, Jura zu studieren? Auch wenn er aus tiefster Überzeugung heraus handelt und weiß, dass er für sich und sein Leben „das Richtige“ tut, wird er immer ein schlechtes Gewissen haben. Das Gewissen ist es, das uns mit unserer Familie verbindet. Gefahren für diese Bindung werden als Existenzbedrohung empfunden – ein Kindergefühl, das uns in den Mustern unserer Familie hält.
Geht es also Mama, Papa und den Geschwistern schlecht, lassen wir es uns ebenfalls schlecht gehen. Die Folgen dieser unbewussten Solidarität zeigen sich variantenreich: Wir finden Möglichkeiten, trotz bester Zeugnisse den beruflichen Erfolg zu vermeiden. Wir suchen uns immer wieder Partner, mit denen wir dauerhaft unglücklich sein können. Wir bringen uns um durch Arbeit, Drogen oder Essen. Oder wir mutieren zu unerträglichen Gutmenschen, die sich mit ihren „gut gemeinten Ratschlägen“ selbst in die soziale Isolation katapultieren.
Wer zum System gehört
Zum System gehören bei der Familienaufstellung…
… in der Herkunftsfamilie: die Geschwister, die Eltern, Onkel und Tanten, Opas und Omas, deren Eltern u.s.w.
… in der Gegenwartsfamilie: die eigenen Kinder, der Lebenspartner und dessen Kinder sowie die früheren Partner.
… alle, die Platz gemacht haben, so dass jemand anders ihren Platz im System einnehmen konnte, z. B. auch der frühere Verlobte der Oma, der im Krieg geblieben ist.
Das Recht auf Zugehörigkeit. Jeder im System hat das Recht dazu zu gehören, unabhängig davon wie anerkannt und geschätzt er ist. Wird jemand ausgeschlossen, so hat das zur Folge, dass er von einem Familienmitglied in einer späteren Generation vertreten wird. Dieser ist auf der Seelenebene mit dem Ausgeschlossenen identifiziert und zeigt das durch bestimmte Verhaltensweisen oder Krankheitssymptome.
Die Verräumlichung des Seelenbildes
Die klassische Familienaufstellung findet als Gruppentherapie statt. Der oder die Betreffende sagt kurz etwas zu seinem oder ihrem Anliegen. Man erzählt keine langen Geschichten über den möglichen Ursprung oder die Entwicklung seines Problems, sondern nur, was man für sich lösen will. Dann wird man nach schwerem Schicksal in der Familie gefragt, z. B. Heimatvertreibung, Krieg, schwere Krankheit, früher Tod etc. Jetzt wählt man aus der Runde Stellvertreter für sich und seine Familienmitglieder. Man stellt sie im Raum so auf, wie es dem inneren Bild entspricht. Dann setzt man sich wieder, die Stellvertreter „fühlen sich ein“. Der Aufstellungsleiter führt das System durch gezielte Fragen und bestimmte Sätze zu einer guten Lösung.
Ziel ist es, dass hinterher jede und jeder an dem Platz ist, wo sie oder er hingehört. Das gelingt mitunter nicht bei der ersten Aufstellung. Oft zeigt sich zunächst die tatsächliche Situation, und die verborgenen Dynamiken kommen zum Vorschein. Das ist der erste wichtige Schritt zur Veränderung: „Anerkennen was ist“.
Es gibt mittlerweile verschiedene Formen der Aufstellungsarbeit. Viele Seminarleiter haben ihre
eigenen Erfahrungen und ihre persönliche Note integriert. Aufstellungen am Systembrett (siehe Foto)
oder mithilfe von sogenannten Bodenankern erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Sie finden unter
vier Augen in der Praxis statt und sind unabhängig von Gruppenterminen.
Funktioniert das wirklich?
Wie eine Familienaufstellung abläuft, kann man sich erst dann richtig vorstellen, wenn man daran teilgenommen hat. Vor meiner ersten Aufstellung habe ich mich intensiv mit Freunden ausgetauscht, die diese Erfahrung bereits gemacht hatten. Ich habe mehrere Bücher gelesen und mich mithilfe einer erfahrenen Psychologin durch das Erstellen eines Genogramms darauf vorbereitet. Ein bisschen war ich skeptisch, ein bisschen hatte ich Angst. Was ich dann erlebt habe, war anders als erwartet.
Vor allem hatte ich Bedenken, dass das bei mir nicht „richtig funktioniert“, dass ich vielleicht gar nichts spüre. Dann stand ich da in der Rolle eines Kriegsopfers. Ich wusste nichts über den Menschen, den ich vertrat. Plötzlich spürte ich aus voller Gesundheit heraus starke Schmerzen im linken Bein. Ich konnte kaum stehen. Der Klient, um dessen Familie es ging, sagte, dass seinem Opa das linke Bein weggeschossen worden war. Da war ich platt. Es hatte funktioniert. Dieses Erlebnis war eindrücklich genug, um mein Interesse an der Methode zu bekräftigen. Die Schmerzen waren nach der Aufstellung sofort verschwunden.
Auf der Suche nach einer Erklärung
Man muss das Familienstellen nicht erklären können, um damit zu arbeiten. Phänomenologisch nennt man diese Herangehensweise. Man nutzt einfach das, was sich praktisch zeigt. Hand aufs Herz: Ich kann Ihnen bis heute nicht erklären, wie das Drücken meiner Tasten die schwarzen Buchstaben am Bildschirm erzeugt. Aber ich weiß, was ich tun muss, um meine Gedanken hinterher auf Papier zu sehen.
Wem das nicht reicht, der darf sich gerne auf einen renommierten Harvard-Professor für Biologie berufen. Prof. Rupert Shaldrake hat mehrere Bücher geschrieben, die sich mit der Idee der morphogenetischen Felder befassen. Das sind Informationsfelder, die wir (noch) nicht messen können. Nach Sheldrakes Überzeugung sind sie dafür verantwortlich, dass eine Stammzelle weiß, ob sie sich zu einer Hautzelle oder zu einer Leberzelle entwickeln soll. Mithilfe solcher Felder erklärt er das Verhalten von Zugvögeln und Fischschwärmen. Sie greifen unwillkürlich auf Informationen im Feld zu, über das alle seine Mitglieder verbunden sind.
Im Rahmen einer Familienaufstellung treten wir sozusagen in das Feld der Familie, um die es geht. Wir greifen auf Informationen aus diesem Feld zu, die wir über die Verstandesebene unmöglich wissen können.
Ein gut begleiteter Prozess
Es ist nicht notwendig, die Methode im Vorfeld mit dem Verstand begreifen zu wollen und entsprechende Literatur zu studieren. Wichtiger ist es, einen seriösen Aufstellungsleiter zu suchen, in dessen Hände man sich vertrauensvoll begeben kann. Finden Sie einen Therapeuten mit Erfahrung und Feingefühl. Schauen Sie sich den Aufsteller immer an, bevor Sie entscheiden, Ihre Familie bei ihm aufzustellen.
Idealerweise ist eine Familienaufstellung in ein therapeutisches Konzept integriert, das bei Bedarf Vorbereitung und Nachbetreuung gewährleistet. Wie bei jeder Form der Seelenarbeit gilt: Lassen Sie die Finger von halbseidenen Hobbytherapeuten. Hören Sie auf Ihren Bauch. Und sichern Sie sich für die Zeit nach der Aufstellung professionelle Unterstützung für alle Themen, die dann vielleicht bearbeitet werden wollen.
Wer sich öffnen kann für neue Perspektiven und einlassen will auf tiefgreifende Prozesse, findet im Familienstellen eine kraftvolle Methode. Möglicherweise führt der Weg durch mehrere Aufstellungen. Jedes Mal tritt ein anderer Aspekt in den Vordergrund. Und so schält sich gewissermaßen Schicht um Schicht der belastenden Verstrickungen von der Seele.
Angesichts der beeindruckenden Entwicklungen, die ich in Zusammenhang mit dem Familienstellen beobachten konnte, überkommt mich noch immer Demut und Ehrfurcht vor der Methode und dem Großen, was da wirkt.
Text und Bild: Petra Weiß
Erstveröffentlichung in Signal 2010/3, HAUG Verlag