Aus dem Jetzt heraus handeln

Heilpraktiker Psychotherapie Weinheim Petra Weiß

Wenn wir uns in der Welt umsehen, gibt es eine unüberschaubare Menge von komplizierten und verfahrenen Situationen. Jeder behauptet im Recht zu sein. Alle haben ihre eigene Sicht auf die Entwicklungen, die dazu geführt haben, dass wir heute da stehen, wo wir halt eben sind. Die Meinungen weichen teilweise um 180 Grad voneinander ab. Beide Seiten haben angeblich Beweise. Und jetzt?

Die Lage ist ernst. Wir brauchen neue Betrachtungsweisen, sonst lösen sich die Konflikte nicht auf. Mir fällt das alte Sprichwort wieder ein: Man kann Recht haben oder Freunde. Wenn man einen Tathergang lange genug analysiert und weit genug in die Vergangenheit recherchiert, findet man immer gute Gründe, sich für die eine oder die andere Seite auszusprechen, Partei zu ergreifen und deren Ziele zu unterstützen. Dem Frieden dient das nicht.

Dem Frieden dient es, den Frieden zu fördern. So einfach ist das. Und gleichzeitig so schwer.

Wer es uns ganz unerwartet leichter machen wird, ist die künstliche Intelligenz mit ihren neuartigen Möglichkeiten. Bilder, Audios und Filme lassen sich jetzt schon auf so perfekte Weise fälschen, dass wir unseren eigenen Augen und Ohren schon längst nicht mehr trauen können.

Wir sind die Generation, die den Fortschritt in der computergestützten Animation live und in Farbe mitverfolgt hat. Nie werde ich meinen Kinobesuch in den 1990er Jahren vergessen: Die Filmszenen in Jurassic Park wirkten so realistisch, dass ich spontan meine Fuße im Kinosessel nach oben gezogen habe, als der Raptor auf der Leinwand von unten nach den Protagonisten schnappte. Seit mehr als 30 Jahren ist die Technik so weit, dass wir Dinosaurier auf dem Bildschirm lebensecht erscheinen lassen.

Mit dem sogenannten Deep Fake ist eine neue Dimension der optischen Täuschung erreicht. In Echtzeit kann man jeden erdenklichen Promi Dinge sagen lassen, die er nie geäußert hat. Und das wirkt absolut realistisch. Googeln Sie mal „deep fake“ und schauen Sie sich ein paar Beispiele an. Sie werden verblüfft sein, was man alles mithilfe dieser Technik machen kann.

Es ist elementar wichtig zu verstehen, welche Aussagekraft Bilder und Videos vor diesem Hintergrund haben. Nämlich gar keine.

Ich bin begeistert! Vielleicht kennen Sie meine Bemühungen, Manipulation durch Sprache aufzudecken. Und möglicherweise wundern Sie sich, warum ausgerechnet ich über universelle Möglichkeiten zur Manipulation frohlocke. Nun, das ist ganz einfach: Im Grund wurden wir schon immer hinters Licht geführt, doch jetzt wird es für jedermann offenkundig. Warum sollten wir künftig irgendetwas als wahr annehmen, nur weil uns jemand ein Dokument unter die Nase hält. Alles kann gefälscht sein. Und vieles ist es wahrscheinlich.

Haben Sie schon einmal den Satz gehört: „Geschichte wird von Siegern geschrieben.“ Machen Sie sich bitte klar, was das bedeutet. Geschichte wird schon immer gefälscht. Oder sagen wir freundlicher: aus einem bestimmten Blickwinkel dargestellt. Und zwar aus der Perspektive der Gewinner. Wovon eigentlich? Man könnte interpretieren, die Sieger eines Krieges oder sonstigen Konfliktes seien gemeint. Vordergründig stimmt das auch. Doch tatsächlich geht es um die Hoheit über „die Wahrheit“, so wie sie sich in den allgemeinen Erzählungen darstellt. Es sind die Gewinner über das Narrativ. Diejenigen, die festlegten, was überliefert wird: in Handschriften, Druckerzeugnissen und neuerdings in digitaler Form.

Die praktische Konsequenz daraus ist, dass wir dazu übergehen werden, aus dem Jetzt heraus zu handeln. Die Erzählungen, was früher war und wie sich die Dinge dahin entwickelt haben, was heute ist, wer eigentlich was gewollt und gesagt hatte und wer sein Wort gehalten oder gebrochen hat, werden keine Rolle mehr spielen. Wir werden die Dinge bewerten anhand der aktuellen Gegebenheiten.

Wir werden JETZT über annehmbare Bedingungen für den Frieden verhandeln, statt uns auf irgendwelche Staatsgrenzen von annodazumal zu berufen. Wie werden JETZT Regierungsformen finden, die den Menschen dienen, statt uns den Kaiser von achtzehnhundertirgendwann zurückzuwünschen.

Damit will ich keinesfalls sagen, dass man sich nicht mit historischen Ereignissen auseinandersetzen sollte. Aus der Geschichte zu lernen, wäre gut. Theoretisch. Wie man leider sehen kann, funktioniert das nicht mit überzeugenden Ergebnissen.

Einer der Gründe ist die Begriffsverschleierung. Dinge werden einfach umbenannt oder mit neuen Inhalten gefüllt, in einen anderen Rahmen gesetzt und so weiter. Wenn schon hinsichtlich der Ereignisse währen der letzten drei Jahren kein allgemeiner Konsens in der Gesellschaft herrscht, wie wollen wir dann davon ausgehen, dass die Überlieferungen von vor hundert Jahren die Wahrheit vollständig und ohne Widerspruch spiegeln?! Das ist illusorisch.

Mir geht es nicht darum, für die eine oder andere Seite Partei zu ergreifen. Im Gegenteil. Ich will aufzeigen, wie unsinnig es ist, entscheiden zu wollen, wer Recht hat oder hatte anhand von Belegen, die im Zweifel immer anzufechten sind.

Natürlich ist dies keine praktische Anleitung zum Schlichten von Konflikten. Dieses Essay ist eher eine Grenzbetrachtung und eignet sich als Anstoß zum Umdenken.

Wenn also die vorher als Beweise üblichen Dokumente keinen Wert mehr haben, worauf stützen wir dann unsere Entscheidungen? Statt zu fragen, wer hier moralisch überlegene Absichten hatte und wer ein Unmensch war, nehmen wir doch an, jeder handelt nach Motiven, die wir in der Regel nicht erkennen können – egal, was er dazu äußert. Wenn beide Parteien aus Eigennutz oder aus Menschenliebe handeln können, lassen wir die Betrachtung der Motive außer Acht. Dann zählt nur die Handlung selbst.

Das hat den ungeheuren Vorteil, dass niemand mehr seine Mittel mit dem angeblichen Zweck zu heiligen versucht. Wir würden nicht mehr fragen: Hat diese Person verdient zu sterben? Wir würden uns grundsätzlich entscheiden, dass Leben nicht durch Menschen ausgelöscht werden darf. Egal, was der Betreffende getan hat. Damit wären wir beim Kant’schen Imperativ. Und die ganze Lügerei über die vorgeschobenen edlen Absichten würde endlich aufhören. Wir müssten die haarsträubenden Beispiele der Doppelmoral nicht mehr ertragen. Weder im Kleinen noch im Großen.

Obgleich dieser Text etwas Abstraktes hat, will ich den praktischen Nutzen anhand eines Alltagsbeispiels aus dem richtigen Leben beschreiben. Es geht um eine Änderung in der Haltung. In diesem Falle um meine eigene Haltung.

Seit Monaten korrespondiere ich mit meiner Krankenversicherung, um eine bestimmte Rückerstattung zu erhalten, auf die ich von Gesetzes wegen Anspruch habe. Diesen Anspruch muss ich natürlich nachweisen. Ohne Nachweis darf ich immer nur bezahlen. Wenn ich etwas möchte, liegt die Beweislast bei mir.

Was nützt es der Sachbearbeiterin, wenn sie den ganzen Hergang meines Antrags noch einmal aufgerollt bekommt. Sie könnte dann verstehen, warum ich ärgerlich bin. Wenn ich ärgerlich wäre. Bin ich aber nicht. Warum sollte ich? Niemand hatte böse Absichten. Es gibt Regularien, die wir beide nicht geschaffen haben.

Entgegen meinem Impuls, mich in aller Ausführlichkeit zu rechtfertigen (weil ich ja so schön im Recht bin), lege ich nur die aktuellen Daten dar, die sie braucht, um eine Entscheidung zu treffen. Und siehe da: Die Frau ist ausgesprochen freundlich und entgegenkommend. Sie entschuldigt sich für das automatisierte Schreiben, das den Antrag für abgeschlossen erklärt hat und mich zum Widerspruch einlädt. Wir beschließen in beidseitigem Einvernehmen das weitere Vorgehen und alles ist gut. Mein Geld habe ich freilich noch nicht. Aber wir haben uns geeinigt, wann und wie ich es erhalten werde. Es geht um 30 oder 40 Euro.

Angenommen wir würden solch eine pragmatische Herangehensweise etablieren, wie würden sich unsere Beziehungen verändern? Und zwar die Beziehungen zwischen den Menschen und auch die Beziehung zu uns selbst.

Wir würden die ewigen Rechtfertigungen loslassen. Wäre das nicht eine großartige Befreiung? Wir würden auch die Vorwürfe an andere loslassen. Niemand könnte es sich mehr in der Opferrolle bequem machen. Das ganze Konzept von Schuld und Sühne wäre hinfällig. Man ginge einfach davon aus, dass alle immer nur das Beste tun, was sie aus ihrer jeweiligen Situation heraus können.

Gerade höre ich, dass ein Wissenschaftler mit Universitätsprofessur in Theologie, Philosophie und Archäologie die Anfänge des Christentums neu beleuchtet. Auch damals gab es mehrere Sichten, von denen es nur eine in das überdauernde Narrativ der christlichen Kirche schaffte: Jesus kam hernieder, um die Schuld der Menschheit auf sich zu nehmen. Auf diese Geschichte geht ein Gutteil unserer Kultur zurück. Und was, wenn wir zumindest die andere Sichtweise AUCH in Betracht zögen, nämlich, dass Jesus herniedergekommen ist, um zu verkünden, dass er das Licht sei und dass dasselbe göttliche Licht IN JEDEM von uns sei.

Wenn wir annehmen, der Lebenszweck von Jesus habe nichts mit dem Verüben von Sühne zu tun, können wir auch unseren eigenen Lebenssinn völlig neu denken. Ich will hier keinen theologischen Diskurs anregen, sondern eine Umbewertung des Selbstbildes eines jeden Einzelnen in einer vom christlichen Glauben und seinen Erzählungen geprägten Welt. Die zentrale Frage „Warum bin ich hier?“ darf in unserer Welt im Verbund mit der Frage gesehen werden „Warum war Jesus hier?“

Immerhin wurden die meisten von uns christlich sozialisiert, haben Religionsunterricht an den Schulen genossen und wurden auch in weniger frommen Familien im Geiste der 10 Gebote erzogen. Das Narrativ der Bibel hat einen großen Einfluss auf unsere Weltsicht genommen.

Machen wir uns bewusst, dass die „Worte Gottes“ von Menschen ausgewählt worden sind. Sie erfahren bei Bedarf aus dem Internet, wer wann welche Texte als Heilige Schriften anerkannt oder verworfen hat. Politisch unerwünschte Inhalte wurden entfernt und deren Verbreitung sogar unter Strafe gestellt. Das war die antike Form der Zensur.

Und jetzt kommt all das ans Licht. Es geht nicht darum zu behaupten: DAS ist jetzt die neue Wahrheit. Sondern zu begreifen wie unmöglich es ist, sich auf eine Wahrheit festzulegen. Stattdessen tut man gut daran, mehrere Stimmen zu hören und verschiedene Sichtweisen als gleichzeitig plausibel wahrzunehmen. Das Unterdrücken von abweichenden Ansichten darf uns dabei grundsätzlich skeptisch stimmen.

Was heißt das für Ihr Leben? Meine Empfehlung ist: Machen Sie das Beste aus der aktuellen Situation. Bestehen Sie nicht auf Abbitte oder Wiedergutmachung, wenn Sie sich ungerecht behandelt oder verletzt fühlen. Machen Sie Ihre Beziehungen nicht davon abhängig, wer im Recht ist.

Vollziehen Sie innerlich einen „Cut“. Holen Sie Gewesenes nicht ständig wieder in Ihr Bewusstsein. Dadurch aktivieren Sie nur wieder und wieder das belastende Energiemuster in Ihrem Mental- und Emotionalkörper. Man könnte auch etwas weniger spirituell sagen: Sie bringen sich in schlechte Stimmung und negative Gedanken.

Schauen Sie stattdessen darauf, was jetzt ist, was Sie anders wollen und was Sie selbst ändern können. Und dann tun Sie das. Halten Sie Ausschau nach passenden Weggefährten, nach Gleichgesinnten und Freunden. Und vor allem: Lassen Sie sich keine Angst machen aufgrund von irgendwelchen Befürchtungen, von denen niemand weiß, ob sie sich jemals bewahrheiten werden.

Im Jin Shin Jyutsu (japanische Heilkunst) gibt es eine interessante Interpretation des Wortes FEAR (engl. Angst): false evidence appearing real: falsche Beweise, die echt erscheinen. Das war weit vor Jurassic Park. Lassen wir uns keine Angst mehr machen – nicht von unserem direkten Umfeld und erst gar nicht von Menschen, die wir nur im Fernsehen sehen. Man kann nicht einmal mit Gewissheit behaupten, wo sich diese Person bei der Aufnahme befindet. Ein passender Hintergrund wird einfach eingeblendet. Viele von uns nutzen das Prinzip alltäglich bei Videokonferenzen. Im Profi-Umfeld ist das Resultat natürlich überzeugender. Green Screen Technologie gibt es schon lange. Wenn Sie einen eindrücklichen Beleg dafür haben wollen, was heutzutage alles möglich ist, schauen Sie sich das Making-off des Hollywood-Streifens Avatar II an.

Wie immer ist diese Technologie nicht ein Instrument, das an sich gut oder schlecht ist. Es kommt darauf an, was wir Menschen daraus machen.

Text: Petra Weiß
Foto: Werner / pixelio.de

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