In meine Sprechstunde kommen Patienten mit seelischem Malheur. Das ist zu erwarten. Ich betreibe eine psychologische Praxis. Viele der Hilfesuchenden schämen sich anfangs ein bisschen, weil etwas mit ihnen „nicht in Ordnung“ ist. Über psychische Probleme spricht man im Alltag selten. Daher entsteht oft der Eindruck, man stünde damit ganz allein da. Das ist aber nicht so. Dieser Beitrag zeigt auf, wie häufig Menschen tatsächlich aus der Balance geraten, was das für unsere Gesellschaft bedeutet und wie wir damit umgehen können.
In meinem privaten Umfeld habe ich schon alle möglichen Arten von psychischen Malaisen erlebt. Allen voran Bindungsmalheur, aber auch depressive Verstimmungen, Suchtverhalten und ausgeprägter Narzissmus sind mir begegnet. Man muss nicht immer eine Diagnose stellen. Nicht jede Abweichung vom „normalen“ Umgang ist krankhaft.
Mit einigen Eigenarten kann ich mitfühlend und verständnisvoll hantieren, mit anderem habe ich zu kämpfen und manchmal lasse ich Beziehungen hinter mir, insbesondere, wenn das harmonische Miteinander dauerhaft verhindert oder die gegenseitige Wertschätzung beeinträchtigt ist. Personen in der engeren Umgebung outen sich ab und zu, weil sie wissen, dass ich mit ihren Problemen beruflich zu tun habe. Selten haben die Betroffenen eine Diagnose. Sogar Kollegen gehen nicht immer zu einem Therapeuten, wenn sie Probleme haben. Gerade wir „vom Fach“ braten viel zu oft im eigenen Saft. Das ist sehr schade.
Über das Erlebnis, das zu meinen Überlegungen geführt hat, will ich Ihnen berichten: Die junge Dame an der Kasse in meinem Bio-Supermarkt scheint völlig neben sich zu stehen. Nicht nur heute. Jedes Mal, wenn ich dort einkaufen gehe, habe ich denselben Eindruck. Vielleicht leide ich unter selektiver Wahrnehmung: Wenn wir unseren Blick auf etwas Bestimmtes richten, kommt es uns so vor, als seien wir überall davon umgeben. Will eine Frau beispielsweise schwanger werden, sieht sie ringsumher lauter Kinderwägen. Fahre ich mit dem Rad durch die Stadt, begegnen mir immer wieder Menschen, die auf mich verwirrt wirken. Etwas in ihrer Mimik, in der Körperhaltung, im Gesamteindruck sagt mir aufgrund meiner langjährigen psychotherapeutischen Erfahrung, dass hier ein kleines, mittleres oder schweres seelisches Problem vorliegt.
Nun bin ich halt als Traumatherapeutin und systemische Familientherapeutin tätig. Da kann es schon sein, dass mein Augenmerk auf dem Erkennen von psychischen Störungen jeder Art liegt. Und in meiner Freizeit verliere ich ja nicht plötzlich all mein Wissen und meine Intuition. Dennoch kam mir die Häufung solcher Begegnungen in den letzten Tagen etwas merkwürdig vor. Also habe ich mal recherchiert. Meine Vermutung war: Jeder Dritte, der mir begegnet, hat psychische Probleme. Über diese Einschätzung aus dem Bauch heraus war ich selbst erstaunt. Gerne hätte ich Unrecht.
Was sagt denn die Statistik?
Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (dgppn) in Berlin hat aufschlussreiche Zahlen:
„In Deutschland sind jedes Jahr etwa 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen […]. Das entspricht rund 17,8 Millionen betroffenen Personen, von denen pro Jahr nur 18,9 % Kontakt zu Behandlerinnen und Behandlern aufnehmen […]. Zu den häufigsten psychischen Erkrankungen zählen in Deutschland Angststörungen (15,4 %), gefolgt von affektiven Störungen (9,8 %, davon allein die unipolare Depression: 8,2 %) und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentenkonsum (5,7 %) […]“
Bei 27,8 Prozent lag ich mit meiner Drittel-Schätzung gar nicht so weit daneben. Die Daten stammen aus einer aufwändigen Studie in den Jahren 2008 bis 2011.
Aktueller ist eine Stichproben-Erhebung, die routinemäßig per Interviews am Telefon durchgeführt wird: die Mental Health Surveillance (MHS). Bei der dgppn ist darüber zu lesen:
„Laut Daten der MHS aus dem Jahr 2023 lag der Anteil der Personen, deren depressive Symptome als auffällig zu bewerten sind, Ende 2022 bei 20 %. Bei etwa 12–15 % der Bevölkerung lagen die selbstberichteten Angstsymptome im auffälligen Wertebereich. Nur 36 % der Bevölkerung bewerteten ihren psychischen Gesundheitszustand als sehr gut oder ausgezeichnet.“
20 plus 12 bis 15 sind schon 32 bis 35 Prozent, also knapp weniger bis etwas mehr als ein Drittel. Und wir haben hier nichts über Suchterkrankungen, Schizophrenien, Posttraumatische Belastungsstörungen etc. gehört. Das geschätzte Drittel-Verhältnis dreht sich sogar um, wenn man bedenkt, dass nur 36 Prozent sich für psychisch gesund halten.
Ist das ein unerfreuliches Blitzlicht, ein allgemeiner Trend oder schon eine in Besserung befindliche Misere? Schauen wir uns die Entwicklung an:
„Die aktuellen Zahlen der MHS aus dem Jahr 2023 […] weisen auf eine Verschlechterung der
psychischen Gesundheit über die letzten Jahre hin. 2023 haben selbstberichtete depressive Symptome im Vergleich zu 2019 zugenommen. Der Anteil der Personen, deren depressive Symptome als auffällig zu bewerten sind, hat sich seit 2019 annähernd verdoppelt. Eine ähnliche Entwicklung ist für Angstsymptome zu beobachten: Während 2021 etwa 8 % der erwachsenen Bevölkerung eine auffällige Belastung berichteten, waren es ab der zweiten Hälfte des Jahres 2022 fast doppelt so viele […]. Der Anteil der Personen, die ihre psychische Gesundheit als sehr gut oder ausgezeichnet bezeichneten, reduzierte sich von 46 % im Frühjahr 2021 auf 36 % Ende 2022 […]“
Wir haben 2023 also doppelt so viele Menschen mit depressiven Symptomen und ab Mitte 2022 doppelt so viele Menschen mit Angst im Vergleich zur Situation im Jahr 2019 bzw. 2021. Woran könnte das nur liegen? Vielleicht haben Sie eine Vermutung. Ich will an dieser Stelle nicht spekulieren. Sondern über die Auswirkungen und Zusammenhänge sprechen.
Die medizinische Versorgung
Ein bis zwei Drittel der Menschen sind seelisch aus der Spur geraten. Das ist dramatisch. Und die Entwicklung geht ins Negative, statt in die Verbesserung, wenn sich knapp der Hälfte im Jahr 2019 für psychisch gesund hält und heute nur noch etwas über 1/3 der Befragten.
Anmerken möchte ich an dieser Stelle, dass Psychopathen bzw. Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung sich nicht als krank erleben. Sie sind in dem „gesunden“ Drittel enthalten.
Warum wendet sich nicht einmal jeder fünfte Betroffene an einen Behandler? Sehen wir uns mal die Zustände an, die in Deutschen Kassenpraxen herrschen.
In ambulanten Einrichtungen werden laut Aussage des dgppn pro Quartal 2,3 Millionen gesetzlich versicherte Patienten beiderlei Geschlechts von 3.438 Ärztinnen und Ärzten der Fachrichtung Psychiatrie und Psychotherapie bzw. Nervenheilkunde behandelt.
Diese Zahl besagt, dass jeder Behandler 669 Patienten betreut. Aus meiner Sicht einer Privatpraxis ist das eine unvorstellbare Anzahl von Menschen. Deshalb habe ich meinen Rechenschieber bemüht, um herauszufinden, was das praktisch bedeutet: Gehen wir von durchschnittlich 20 Arbeitstagen im Monat aus, dann betreut ein Kassentherapeut mehr als 11 Patienten am Tag.
Heruntergerechnet auf 40 Wochenstunden Arbeitszeit sind das 0,7 Stunden je Patient im Quartal. Aber nur, wenn der Arzt weder Urlaub hat, noch krank wird oder irgendeine Fortbildung besucht.
Realistischer ist vermutlich, dass er 60 Stunden pro Woche arbeitet und 6 Wochen Jahresurlaub sowie je eine Woche Fortbildung und eine Krankheitswoche braucht. Dann hat er knapp eine Stunde je Patient im Quartal zur Verfügung. Wie soll das denn gutgehen?
Gearbeitet wird im 25-Minuten-Takt wie am Fließband. Wenn ich so arbeiten müsste, wüsste ich in der Mittagspause nicht mehr, wer am Morgen als erster in der Sprechstunde war. Wie sollen die Ärzte denn ein persönliches Verhältnis zu den Menschen aufbauen, mit denen sie arbeiten – was für den Behandlungserfolg maßgeblich ist? Wie erfüllen sie ihre Dokumentationspflicht? Wann wollen sie sich denn Notizen zu den einzelnen „Fällen“ machen und in Ruhe überlegen, was in der Therapiestunde gut und was weniger gut war, bzw. was sie nächstes Mal besser machen wollen?
Und wie sollen diese Behandler gut für sich selbst sorgen, genügend Abstand vom Einzelnen gewinnen, ihr eigenes Nervensystem zwischen den Sitzungen regulieren und so weiter?
Unter solchen Umständen kann man die Menschen nur abfertigen wie Passagiere am überfüllten Flughafen. Diese Praxis halt ich für menschenunwürdig. Kein Wunder, geht es mit der seelischen Gesundheit im lande rapide bergab.
Die traurige Spitze des Eisbergs sind rund 10.000 Menschen, die sich jährlich das Leben nehmen. Man vermutet, dass 50 bis 90 Prozent diesen Schritt aus einer psychischen Erkrankung heraus tun. Auch hier ist der Trend besorgniserregend. Von 2021 auf 2022 stieg die Zahl um 10 Prozent. Und seit 2017 erstmals über 10.000.
Mein Spezialgebiet sind Traumata und transgenerationale Traumatsierungen. Ich sehe jeden Tag in der Praxis, wie einschränkend sich seelische Verletzungen im Alltag auswirken, wie verzerrt das Welt- und Menschenbild aus solch einer Störung heraus sein kann und wie emotional behindert die Betroffenen in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen leider oft sind.
Wenn ich mir anschaue, welche Versorgung ihnen angeboten wird, werde ich wütend. Der Notstand wird immer schlimmer. Und wir geben Milliarden Euro dafür aus, das hier und anderswo noch mehr Traumata entstehen, die noch Generationen später Folgen haben werden. Selbstverständlich im Namen des Guten.
Vom Wert der Bewertung
Nun könnte man fragen, wie zuverlässig die Auswertung eines Interviews ist, wenn die Beteiligten sich nicht einmal persönlich begegnet sind. Immerhin verbringen studierte Psychologen mit neuen Patienten mehrere Sitzungen, um ihre Verdachtsdiagnose zu bestätigen und das therapeutische Vorgehen festzulegen. Wie lange wohl so ein Telefonat dauern mag?
Psycho-Tests in Form von Interviews dürfen grundsätzlich hinterfragt werden. Nicht ohne Grund hat Prof. Max Lüscher in den 1940er Jahren einen Test entwickelt, der nicht auf Worten basiert, sondern auf Farben: den Lüscher-Color-Test. Damit der Patient das Testergebnis nicht willentlich beeinflussen kann. Wer schlau kombiniert, findet nämlich ganz schnell heraus, worauf die Fragen zielen und kann das Resultat entsprechend steuern.
Selbst wenn die Befragten wahrheitsgemäß Auskunft geben wollten, könnte ihr Unterbewusstsein sie dazu verleiten, ihren Seelenzustand nicht preiszugeben. Würden Sie einem Fremden frank und frei mitteilen, dass Sie psychische Probleme haben und wenn ja, welche? Am Telefon? Vertrauen Sie der Anonymisierung solcher Daten zu 100 Prozent? Ich nicht.
3.000 solcher Anrufe finanzieren wir Steuerzahler jeden Monat. Plus die Auswertungsarbeit, das Aufbereiten von Charts; ein Dashboard ist geplant und so weiter. Das ganze Verfahren darf angezweifelt werden – selbst, wenn es in allerbester Absicht geschieht und ohne ein vorher bestimmtes Zielergebnis.
Das RKI, welches die Mental Health Surveillance beauftragt und seine Schlüsse daraus zieht, schreibt auf seiner Website, dass „die Messinstrumente keine Diagnosestellung erlauben“. Aha. „Wer ist ein bisschen plemplem?“, das wüsste man schon gerne, aber ohne ernsthaften Anspruch, etwas diagnostisch Aussagefähiges zu ermitteln.
Nehmen wir für einen Moment einmal an, das Ergebnis der Umfragen sei realistisch. Und möglicherweise ist es das. Dann wären seelische Probleme (jaja, OHNE Diagnose) etwas geradezu Gewöhnliches. Wenn doch mehr als ein Drittel der Bevölkerung unter depressiven oder ängstlichen Beschwerden leidet. Und wenn nur noch ein Drittel sich selbst für seelisch gesund hält. Ist das dann „das neue Normal“? Und wenn es normal ist, psychisch aus dem Lot zu sein: Wie kommt es dazu? War das schon immer so? Zeigt sich so eine Verteilung überall? Und was machen wir damit?
Denn dann haben wir es mit einem gesamtgesellschaftlichen Problem zu tun. Dafür braucht es mitunter Lösungen, die über den Einzelnen hinausgehen.
Die Wurzel des Übels?
Aus meiner eigenen Biografie kann ich sagen, dass die Erfahrung, als Säugling zu Pflegeeltern gegeben worden zu sein, traumatisierend war. Die frühe Trennung von den Eltern hinterlässt ein tiefes Gefühl, dass etwas mit einem nicht in Ordnung sei, dass man wohl etwas ganz Gravierendes falsch gemacht haben müsse, um so bestraft zu werden, schlimmstenfalls, dass man als Mensch unwert oder zumindest nicht liebenswert sei. Das ist keine rückblickende Bewertung, sondern das unreflektierte Empfinden eines kleinen Kindes. Im Alter von etwa sechs Wochen. Die Lehre, die man aus diesem Ereignis zieht, kann unterschiedlich sein.
Häufig treffe ich in der Sprechstunde auf das Konzept, sich Liebe durch Leistung verdienen zu wollen. Vielleicht kennen Sie das. Solche Prägungen müssen nicht durch eine Pflegesituation entstehen. Es kann auch einfach ein Elternteil häufig abwesend sein oder sogar während der körperlichen Anwesenheit nicht präsent. Das kann viele Gründe haben. Einer davon ist eine seelische Dysbalance von Mutter oder Vater oder beiden. Erinnern Sie sich: ein Drittel! Da beißt sich die Katze in den Schwanz.
Obwohl ich natürlich als Familien- und Traumatherapeutin seit mehr als 20 Jahren reichlich Eigenarbeit gemacht habe und viele meiner Themen auflösen konnte, begegnen mir auch heute noch überraschende Entwicklungen.
Ganz neu ist, dass ich für mich in Anspruch nehme, Fehler machen zu dürfen, ohne dafür abwertend oder missachtend behandelt zu werden. Mit 54 bin ich darauf gekommen. Wie viel Entlastung und Freiheit diese Erkenntnis mir beschert, kann ich gar nicht mit Worten vermitteln. Es ist nämlich sehr anstrengend, Fehler unter entsprechender innerer Anspannung gänzlich vermeiden zu wollen.
Nobody is perfect
Kein Mensch ist perfekt. In der Theorie hat sich das schon herumgesprochen. Praktisch leiden viele an dem Aberglauben, sie könnten fehlerfrei durchs Leben gehen. Und weil sie das trotz aller Bemühung nicht schaffen, klagen sie die Fehler ihres Umfelds entweder verbissen an oder im Gegenteil: Sie lassen sich Dinge bieten, die ganz offenkundig Fehler sind, ohne überhaupt darauf zu reagieren. Beide Ausprägungen sind hinderlich für die freie Selbstentfaltung und für gesunde Beziehungen.
Warum suchen so wenige Menschen mit psychischen Beschwerden (nur 18,9 %) professionelle Hilfe? Liegt es an der eigenen Bewertung ihrer Lage? Um es unmissverständlich auszudrücken: Nein, Sie haben keinen Fehler gemacht und sind daher aus dem Gleichgewicht geraten. Es ist nicht Ihre Schuld. Unter manchen Umständen erscheint es sogar zunächst die beste Lösung zu sein, „ein bisschen verrückt“ zu werden. Überrascht Sie das?
Ich habe schon Lebensgeschichten gehört, aus denen völlig verständlich wird, wenn jemand sich zunächst in den Nebel von Alkohol oder Medikamenten rettet. Oder wenn er eine Schizophrenie, Depression oder Angststörung entwickelt, um der Zumutung zumindest ein Stück weit zu entgehen. Niemand darf aufgrund seines psychischen Zustands verurteilt werden. Traumaforscher gehen davon aus, dass viele psychische Erkrankungen das Ergebnis von traumatischen Erlebnissen sind.
Wichtig ist, dass man an diesem Punkt nicht stehen bleibt. Seelische Balance kann grundsätzlich wieder hergestellt werden. Manchmal braucht es dafür eine äußere Veränderung, wie eine Trennung aus toxischen Beziehungen, einen Arbeitsplatzwechsel, einen vorgezogenen Renteneintritt, eine sinngebende Beschäftigung oder ähnliches. Aber nicht immer.
Mehrfach habe ich erlebt, dass durch das Stärken des Selbstbewusstseins das Selbstvertrauen wächst, welches dann die entscheidenden Veränderungen erlaubt. Und wenn der Wandel eingeleitet ist, gewinnt man weiter an Selbstvertrauen. Das ist ein sich selbst verstärkender Regelkreis unserer Psyche. Wichtig ist, den ersten Schritt zu tun.
Blicken wir auf die Gesamtsituation, dann ist es heilsam für alle, wenn wir uns selbst und gegenseitig Fehler zugestehen. Wenn wir darauf ANGEMESSEN reagieren. Das heißt, sie anzusprechen, ohne den anderen dafür zu verurteilen. Uns selbst unserer Verfehlungen bewusst zu sein, ohne uns als Mensch dafür abzuwerten oder in Schuldgefühlen zu versinken. Das ist das Gegenteil von Narzissmus. Dann müssen wir uns nämlich nicht ständig (selbst) beweisen, wie perfekt wir sind. Wir müssen kein Übermensch sein, kein Gutmensch, kein Heiliger. Einfach nur Mensch. Und BITTE erlauben wir uns und anderen, die seelische Balance hin und wieder zu verlieren und neu finden zu müssen.
Von der Scham in den Schulterschluss
Kommen wir zurück zum Anfang des Beitrags. Viele schämen sich für ihren seelischen Zustand. Scham ist ein machtvolles Gefühl. Es hat eine soziale Funktion, die uns davon abhalten soll, unsere Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu riskieren. Wenn man etwas tut, das in der Gemeinschaft als inakzeptabler Fehler angesehen wird, dann empfindet man Scham. Daher ist es so wichtig zu begreifen, wie viele Menschen seelische Probleme haben. Diese Beschwerden grenzen uns ganz und gar nicht aus! Denn so psychisch gesund ist unsere Gesellschaft wirklich nicht. Man spricht nur nicht darüber.
Jetzt, da Sie wissen, dass Sie bei weitem nicht alleine sind mit Ihrem Malheur, können Sie damit vielleicht ein klein bisschen entspannter umgehen. Möglicherweise ermutigt Sie dieser Text sogar dazu, ein wenig offener mit Ihrem Problem umzugehen. Und wer weiß: Es könnte sein, dass Sie viel mehr Verständnis und Entgegenkommen erleben, als Sie jemals zu hoffen gewagt hätten.
Text: Petra Weiß
Foto: pexels / shvets-production
2 Gedanken zu „Fast jeder Dritte: seelischer Notstand in Deutschland“
Mir hat die Fehler-Thematik sehr gut getan. Ich muss mich selbst nicht abwerten (bzw. abwerten lassen), wenn ich einen Fehler begangen habe. Andererseits gibt es auch keine Veranlassung, Andere abzuwerten, wenn diese einen Fehler gemacht haben. Gesund ist der offene Umgang OHNE Bewertung, und das Bewusstsein dafür, dass ich Fehler machen DARF.
Wie hilfreich, besonders diese Darstellung BEIDER Seiten, dankeschön! 💪🧡
Liebe Susanne,
herzlichen Dank für den Kommentar und die differenzierte Rückmeldung. Es freut mich, wenn meine Beiträge etwas bewirken, in diesem Fall eine wohltuende Bestätigung.
Vielen Dank für die Worte der Wertschätzung 🙂
Herzlich verbunden, Petra Weiß