Narzisstischer Missbrauch

psychologische Praxis DELPHI Petra Weiß Weinheim

Narzissmus ist eine ernsthafte Angelegenheit. So wie der Begriff „Narzisst“ heute als Schimpfwort gebraucht wird, verwässert er. Das ist für die Beschimpften nicht gut. Schädlich ist es aber für die Opfer von echtem narzisstischem Missbrauch. Denn ihre Chance schwindet zu erkennen, was ihnen widerfahren ist. Und diese Erkenntnis kann unendlich kostbar sein. Sie trägt dazu bei, die eigenen Erfahrungen in einen sinnvollen Rahmen einsortieren zu können, die langfristigen Auswirkungen des Missbrauchs als das zu begreifen, was sie sind, und nicht als eigenes Unvermögen. Und sich nicht schlecht zu fühlen, wann man das benennt, was war.

Bei kleinen Kindern kann man die Entwicklung beobachten. Für ihre seelische Reifung ist es notwendig, den Dingen in ihnen und um sie herum einen passenden Begriff zu geben. Sprache dient nicht nur der Kommunikation. Sie hat auch die Funktion, das Erlebte einordnen zu können, sich später abstrakte Gedanken dazu zu machen und letztlich der Selbstreflexion, Bewusstseinsentwicklung und Schulung auf unserem Lebensweg.

Klarheit über die Geschehnisse und die Zusammenhänge benötigen Opfer von narzisstischem Missbrauch in besonderem Maße. Sie sind es nämlich gewohnt, im Nebel der Verdrehungen gehalten zu werden, damit sie möglichst spät erst begreifen, wie ihnen geschieht. Daher will ich mich bemühen, sprachlich besonders präzise zu sein. Mein Ziel ist es, dass der geneigte Leser das Wesen des Narzissmus erfasst und sich davor zu schützen lernt. Sonst bleibt er ratlos, gedemütigt und ohne Selbstvertrauen zurück – und geht dem nächsten Narzissten auf den Leim.

Während ich einen liebevollen und gnädigen Blick auf das Verhalten der Opfer habe, will ich sie gleichzeitig ermutigen, ins Handeln zu kommen, statt sich im stabilen Elend auf ihren neuen Erkenntnissen weiter einzurichten. „Weil mein Vater / meine Mutter… deshalb kann ich ja heute nicht anders als….“ Doch, Sie können. Es wird für Sie etwas schwieriger als für Menschen, die andere Erfahrungen gemacht haben. Aber grundsätzlich können Sie sich entfalten. Sie können Ihre alten Wunden verarzten, sie säubern, desinfizieren und verbinden. Und letztlich werden sie heilen, auch wenn die ein oder andere Narbe bleibt.

Wenn ich hier über Narzissmus spreche, meine ich nicht den harmlosen Alltagsnarzissmus, sondern eine narzisstische Persönlichkeitsstörung im klinischen Sinne. Die Menschen sind nicht nur in einer Ausnahmesituation und reagieren deshalb übertrieben oder instinkthaft, wobei die Empathie auch mal zu kurz kommen kann. Sie haben grundsätzlich kein Einfühlungsvermögen, keine Wertschätzung und kein Gewissen.

Lassen Sie sich nicht einreden, Sie seien narzisstisch, nur weil sie hin und wieder in gesunder Weise ihre Eigeninteressen vertreten. Selbst wenn Sie zu ausgeprägtem Egoismus neigen, ist das nur ein Indiz für Narzissmus. Ein wesentlicher Bestandteil der narzisstischen Persönlichkeit ist, dass sich die Menschen aufwerten, indem sie andere abwerten. Sie sprechen ohne Achtung und Respekt von ihren tatsächlichen oder eingebildeten Widersachern. Ihre Wut erscheint den Ereignissen nicht angemessen. Wenn man näher nachfragt, erschließt sich der Anlass ihrer Hasstiraden nicht aus den objektiven Fakten. Narzisstische Kränkungen können einen Zorn entfachen, der das Gegenüber regelrecht vernichten will. Diese Energie ist kennzeichnend für die Störung. Sie hat einen Eintrag im ICD10 unter F60.8 als eine der „Sonstigen Persönlichkeitsstörungen“: narzisstische Persönlichkeit.

Ebenfalls als Diagnose taucht im ICD10 der psychische Missbrauch auf. Er trägt die Kennziffer T74.3, unter die der narzisstische Missbrauch fällt. Diese Diagnose steht für die Behandlung der Opfer zur Verfügung. Es kann wichtig sein, sich dessen bewusst zu werden, dass diese Form des Missbrauchs sogar eine Kennziffer im Internationalen Katalog der Erkrankungen hat – direkt unter dem Eintrag für sexuellen Missbrauch.

Das erste Mal

Wenn man als Erwachsene einem Narzissten begegnet, kann man zunächst gar nichts besonders Merkwürdiges an seinem Verhalten finden. Ganz im Gegenteil: Oft wirken diese Menschen auf den ersten Blick ausgesprochen sympathisch bis charismatisch. Sie sind sehr von sich begeistert und übertragen diese Begeisterung auf ihr Umfeld. Gerade, wenn man selbst ein bisschen verklemmt, gehemmt oder einfach nur schüchtern ist, imponiert die zur Schau gestellte Selbstüberzeugung. Doch auch normal selbstbewusste Menschen können den Narzissten zu Anfang toll finden. Der Narzisst ist oft redegewandt und charmant. Er hat viel Übung darin, ahnungslose und gutherzige Menschen in seine Falle zu locken. Es ist keine Schande dort hineinzugeraten.

Frühwarnzeichen sind leider vieldeutig und werden deshalb oft übersehen. Dem Narzissten mangelt es prinzipiell an Wertschätzung für andere. Es sei denn, er profitiert von ihnen. Dann sonnt er sich auch ganz gerne mal in ihrem Glanz.

In manchen Fällen zeigt sich das in übertriebenem Elternstolz. Alle Eltern lieben ihre Kinder und freuen sich an ihren Begabungen. Narzissten vergöttern ihre Kinder. Solange sie mit ihnen angeben können. Dann betrachten sie die Sprösslinge als Verlängerung ihrer eigenen Person. Und das Kind ist natürlich genauso grandios wie der narzisstische Papa oder die selbstverliebte Mama. Später können Kinder ihnen in vielerlei Hinsicht dienlich sein. Narzissten zögern keine Sekunde, die Liebe, die noch nicht ausgeprägte Wehrhaftigkeit und die Verletzlichkeit der Kinder für ihre Zwecke zu benutzen. Sie sind unter anderem ein wirksames Druckmittel gegenüber dem (geschiedenen) Partner. Damit Sie die Familiendynamik verstehen, muss ich ein bisschen ausholen:

Narzisstische Familiensysteme

Der narzisstische Missbrauch in der Familie hat viele Gesichter. Das reicht von gewöhnlichen Paschatum bis zu sexueller Gewalt. Der Missbrauch wird selten von einem anderen Familienmitglied gestoppt. Kinder sind dazu nicht in der Lage. Das müsste ein Erwachsener tun. Was selten passiert. Zumindest solange die Paarbeziehung zwischen den Eltern besteht. Denn das ist ausgesprochen schwierig. Je länger der Missbrauch besteht, desto schwieriger wird es. Der vormals Gesunde gerät in eine Abhängigkeit, man nennt das Co-Narzissmus, ähnlich bei einem co-abhängigen Alkoholiker.

Das narzisstische Elternteil treibt einen Keil zwischen die Familienmitglieder. Es erhebt beispielsweise eines der Kinder zum Goldjungen oder -mädchen und ein anderes Kind wird zum Schwarzen Schaf abgestempelt. Dann wird das Goldkind immer als leuchtendes Beispiel hervorgehoben. Beiden Kindern geht es in der jeweiligen Rolle nicht gut. Das Goldkind verliert die gesunde Verbindung zu den Geschwistern, wird schlimmstenfalls beneidet.

Wenn jedes Kacki Grund zum Freudentaumel ist, läuft ein Kind Gefahr, auch ohne eigene Persönlichkeitsstörung später narzisstische Züge zu entwickeln. Auf jeden Fall gerät es in große Abhängigkeit von dem narzisstischen Elternteil, die oft ein ganzes Leben lang bestehen bleibt.

Das Schwarze Schaf dient als abschreckendes Beispiel und zum Statuieren von Exempeln. Auf dieses Kind wird im Sinne von Geiselnahmen die Wut der anderen gelenkt: „Seht nur, wie ungezogen es wieder war! Wegen Eurem Geschwister muss ich mich so aufregen und der ganze Tag ist verdorben!“ Wahlweise: „…und der Ausflug, auf den sich alle so gefreut hatten, muss jetzt ausfallen!“ Wahlweise: „…und weil Du ihm geholfen hast, muss ich Dich leider auch schlagen!“

Kinder haben ja in der Regel zwei Elternteile. Warum schreitet der andere nicht ein, um die Brut zu beschützen, wie es der gesunde Instinkt fordert? Bedauerlicherweise ist das leichter gesagt als getan.

Nehmen wir an, der Vater sei narzisstisch (es kann freilich auch umgekehrt sein). Dann wäre die Mutter tagein, tagaus seiner Manipulation ausgesetzt. Manche Frauen finden den Absprung, aber das ist ein immenser Kraftakt und erfordert außergewöhnlichen Mut. Ist man erst einmal in die Fänge eines Narzissten geraten, schwindet das Selbstwertgefühl unweigerlich von Stunde zu Stunde. Irgendwann denkt man, man könne ohne den Narzissten nicht mehr leben. Der Narzisst denkt das ja auch in seiner Selbstherrlichkeit. Da ist man wenigstens einmal einer Meinung.

Um das Verhalten des Narzissten zu begreifen, müssen wir uns kurz mit der Grundlage seiner Störung befassen. Diese Menschen haben keine Verbindung zu ihrem höheren Selbst. Oder etwas weniger esoterisch ausgedrückt: Sie wissen gar nicht, wer sie sind. Deshalb halten sie ihr Image für ihr Selbst. Instinktiv spüren sie aber, dass ihnen die Fassade keinen Halt gibt. Gar nicht vorstellbar ist es daher, die Maske fallen zu lassen. Jedes leise Wanken des mühsam aufgebauten Trugbilds wird als existenzielle Bedrohung erlebt. Daher rühren die Aggression und Rigorosität mit der sie vorgehen, wenn sie jemand infrage stellt oder auch nur den leisesten Hauch von Kritik äußert.

Und wer könnte sie besser hinterfragen oder an ihrem Image kratzen als die Menschen, die ihnen am nächsten stehen: die Familie. Es gibt in narzisstisch geprägten Familien kaum eine größere Sünde, als außerhalb der eigenen vier Wände schlecht oder auch nur kritisch über innere Angelegenheiten zu sprechen. Oft besteht ein regelrechtes Schweigegelöbnis oder ein unausgesprochenes Tabu. Und wehe, wenn sich jemand nicht daran hält.

Für das unliebsame Verhalten werden dann Begriffe verwendet wie „Nestbeschmutzer“. Die Sündigen werden der Undankbarkeit bezichtigt und fallen in Ungnade. Wenn sich jemand hilfesuchend oder aus dem Bedürfnis nach Zuspruch und Unterstützung mit den Horrorgeschichten von Zuhause an Außenstehende wendet, wird er vom Narzissten häufig zur Persona non grata erklärt und ausgestoßen. Falls solche Aussätzigen später nochmal in den erlauchten Kreis eingeladen werden, dann nur, um sie abzustrafen, zu demütigen und den anderen zu zeigen, was mit Abtrünnigen geschieht. Die Kritiker sieht ein Narzisst als Feinde. Sie werden gegenüber dem Bekanntenkreis, der Nachbarschaft oder den Kollegen aufs Heftigste schlechtgemacht, diffamiert und notfalls auch als psychisch krank dargestellt. Je nach Typ ganz direkt oder durch raffinierte Intrigen.

Kinder aus narzisstischen Familien lernen also früh, die Klappe zu halten, ihren eigenen Bedürfnissen keine Bedeutung beizumessen und sich für andere aufzuopfern. Vor allem leben sie in der Illusion, dass sie der Liebe nicht wert sind. Solch eine Haltung färbt das Erleben über Jahre und Jahrzehnte. Weil die Narzissten manchmal soooo freundlich sind – um einen dann postwendend wieder in die Pfanne zu hauen – gehen die Opfer von narzisstischem Missbrauch meist mit einem abgrundtiefen Misstrauen durchs Leben. Auch und besonders, wenn jemand freundlich zu ihnen ist. Das ist traurig. Denn sie brauchen dringend Erfahrungen, die ihre frühen Modelle mit positiven Erlebnissen überschreiben.

Oder aber die Betroffenen bleiben zeitlebens blind für Narzissmus und geraten immer wieder in solche Verhältnisse. Weil z.B. der neue Partner ja lange nicht so narzisstisch ist wie der eigene Vater. Er schlägt nicht so oft oder nicht so hart. Oder nur, wenn er getrunken hat. Vielleicht schlägt er gar nicht und demütigt einen nur durch Worte. Oder durchs Fremdgehen. Geht doch! Vergleichsweise.

Nein, das geht nicht.

Narzissten verbreiten in der Familie ein Klima der Angst und Anspannung. Ständig sind alle auf der Hut, versuchen gefällig zu sein und den Tyrannen zu besänftigen. Alles dreht sich nur um ihn und seine Bedürfnisse und Launen.

Mein Stiefvater pfiff einmal ein Liedchen und sein Wellensittich vollführte dabei allerlei Kunststücke an der Decke des Käfigs. Zu mir sagte er dann: „Das macht er nur, um mir zu gefallen. Warum kannst Du nicht so sein?“ Damit ist der typisch narzisstische Anspruch auf den Punkt gebracht. Ihm steht es zu, dass jeder ihm dient: zur Belustigung, für seine Bequemlichkeit, aber auch materiell und bei Bedarf sogar sexuell. Und wenn er etwas nicht hat, das ihm doch aufgrund seiner unbestreitbaren Überlegenheit zusteht, fühlt er sich berechtigt, es sich mit Lug und Trug und Gewalt zu holen. In keiner Weise wird ihn sein Gewissen davon abhalten. Er hat keins. Das hängt mit der fehlenden Anbindung ans höhere Selbst zusammen, unsere Instanz in Sachen Ethik und Gerechtigkeit. Fehlt dieser Zugang, dann ist auch keine Empathie möglich. Das Leid der Geschädigten kann nicht nachempfunden werden.

Und wie das so ist im System: Wenn der Täter die Schuld nicht als seine anerkennt, nimmt sie jemand anders, zur Not das Opfer. Das sehen wir häufig in Familienaufstellungen. Im Rahmen der Projektion oder Opfer-Täter-Umkehr übernimmt das Opfer unterschwellig oder offenkundig die (unbewussten) Schuldgefühle des Täters. Das macht den Täter gewissermaßen abhängig davon, immer jemanden zu finden, dem er den Schwarzen Peter zuschieben kann. Denn er war ja bestimmt nicht schuld. Er hat sicher nichts falsch gemacht. Er ist unfehlbar. Wie der Vertreter Gottes auf Erden. Um diesen Irrtum rankt sich sein ganzes Selbst- und Weltbild. Was nicht hineinpasst, wird ausgeblendet, abgelehnt oder verleugnet.

Lenkbar durch Lob

Bei den Opfern bleibt also neben dem geringen Selbstwertgefühl und dem fehlenden Vertrauen in die Menschheit ein diffuses Schuldgefühl zurück. Das ist ein unglücklicher Mix für ein erfülltes Leben. Oft tun die Betroffenen sich schwer mit ihren Beziehungen, verweilen viel zu lang in Situationen, die nicht zumutbar sind, und lassen sich in vielerlei Hinsicht ausnutzen. Chronische Helfer ziehen dann aus ihrer Aufopferung durch das Lob, das sie für diese Rolle erhalten, Anerkennung und Bestätigung. Sie werden aber für das „geliebt“, was sie tun und nicht für das, was sie sind. Das ist ein anstrengendes Leben. Sie müssen ja ständig etwas leisten, um sich gut zu fühlen und weiterhin Wertschätzung zu erhalten.

Heilsam kann für diese Menschen sein, wenn sie zum Beispiel aufgrund einer Erkrankung oder anderer Umstände längere Zeit keine Leistung bringen können. Vielleicht stellen sie ganz erstaunt fest, dass sie trotzdem geliebt werden. Dass man sich gar nicht von ihnen abwendet, wenn sie gerade keine Hilfe sein können. Oder dass man ihnen umgekehrt sogar mit Freude Unterstützung zukommen lässt.

Mir wurde diese Gnade vor einigen Monaten zuteil. Diese Erfahrung hat vieles in Bewegung gebracht und letztlich zu einer Genesung auf ganz anderer Ebene geführt. Ich habe immer noch den Wunsch, anderen zu helfen. Aber er hat nichts Existenzielles mehr. Ich muss niemanden retten. Natürlich immer noch gewissenhaft, aber mit einer nie gekannten Gelassenheit widme ich mich meinen Patienten. Dabei entfalte ich noch mehr Kreativität als vorher, weil mein Blickwinkel entspannter bleibt. Die Sitzungen sind zwar teilweise anstrengend, es geht ja oft um Wichtiges, aber sie erschöpfen mich nicht mehr. Ich fühle mich für die Emotionen meines Gegenübers nicht mehr verantwortlich. Und ich muss Fehler nicht „ums Verrecken“ vermeiden. Die richtig gefährlichen natürlich schon, aber nicht den Tippfehler in der E-Mail.

Mein Fallbeispiel kann man natürlich nicht auf jemand anderen übertragen, der ähnliche Erfahrung gemacht hat. Jeder ist einzigartig. Unterschiedliche Typen reagieren verschieden. Und kein Familiensystem gleicht einem anderen. Es soll als Inspiration dienen. Und als Hoffnungsschimmer.

Was ich aus psychologischer Sicht und auch aus eigener Erfahrung empfehlen kann:

Sich selbst finden

Das wichtigste ist, die Verbindung zum eigenen Selbst zu stärken. Erkunden Sie, wer Sie sind. Nicht welche Person zum Zweck der Anpassung aus Ihnen geworden ist. Nein, ich meine Ihren Wesenskern. Das Bewusstsein über Ihr Selbst, das Gewahrwerden Ihrer Einzigartigkeit, ist der beste Weg aus der emotionalen Abhängigkeit, aus dem Lügenkonstrukt des Narzissten darüber, wie und wer Sie angeblich sind und aus der ganzen Entwertungsnummer.

Manipulative Muster erkennen

Sammeln Sie Kenntnisse über Manipulation und entlarven Sie die Tricks des Narzissten. Das ist wie bei der Zaubershow: Wenn Sie wissen, wie es gemacht wird, verliert die Magie ihre Kraft. Das ganze ist nämlich nur eine Illusion. Da ist gar kein Hase in dem Hut. Die Jungfrau wird nicht zerteilt. Und kein einziger Floh bewegt sich im Zirkus. Entmachten Sie die Spielchen, indem Sie sich ihrer bewusst werden. Das ist der zweite Schritt

Gesunde Beziehungen pflegen

Der dritte Schritt ist der Aufbau von tragfähigen Verbindungen. Gesunde Beziehungen müssen Menschen nach narzisstischem Missbrauch erst (wieder) lernen. Ihr Vertrauen ist aus gutem Grund beschädigt. Sie müssen einerseits ein Frühwarnsystem installieren, damit sie narzisstische Muster erkennen bevor sie in solch eine toxische Beziehung verstrickt sind. Andererseits dürfen sie auch nicht mehr und mehr in die Isolation rutschen, weil sie gar niemandem mehr trauen und jede kleine Irritation Anlass zu einem Kontaktabbruch gibt. Eine differenzierte Sicht ist vonnöten. Dafür müssen Sie sich auskennen mit dem Vollbild dieser Störung. Sie müssen gewissermaßen zum Experten werden. Am wichtigsten ist, dass Sie die Essenz, das Wesentliche des Narzissmus begriffen haben. Dann können Sie diese Menschen nach ein paar Begegnungen identifizieren, egal, wie glänzend und schillernd ihr Auftritt ist.

Den einzelnen Narzissten ebenso wie das narzisstische System erkennen Sie am Deutlichsten, wenn Sie sich ihm widersetzen. Solange Sie alles brav mitmachen, was von Ihnen verlangt wird, laufen die Dinge für Sie relativ geschmeidig. Aber wehe, Sie sagen einmal „NEIN“. Jeder Form der Abgrenzung erlebt der Narzisst als Beleidigung und unerhörte Einschränkung seiner gottgegebenen Rechte und Ansprüche.

Nehmen Sie genau dieses Indiz für Ihre Bewertung, ob Sie aus Versehen wieder in eine narzisstische Beziehung hineingeraten sind. Wenn Sie etwas nicht wollen, äußern Sie das. Und beobachten Sie die Reaktion Ihres Gegenübers. Ein „normaler“ Mensch wird Ihr Stopp-Schild akzeptieren. Vielleicht hat er dazu Fragen und möchte Ihre Ablehnung verstehen. Eventuell wird er versuchen, Sie zu überzeugen. Aber er wird keine emotionale Erpressung versuchen oder Druck auf Sie ausüben.

Wenn Sie schon als Kind in einem solchen System groß geworden sind, haben Sie häufig eine Hemmung, Ihre Bedürfnisse frei zu äußern. Sie stecken schnell zurück, wenn man nicht gleich auf Sie eingeht. Solche Menschen sind beliebte Mitarbeiter, Nachbarn und Vereinsmitglieder. Denn sie tun alles für den Frieden, während man ihnen fröhlich auf der Nase herumtanzen kann. Diese Schein-Harmonie ist teuer erkauft.

Sich dem Nachbarn mit dem Dobermann zu stellen, der immer Ihre Einfahrt zuparkt, muss ja nicht die allererste Übung sein. Beginnen Sie ruhig mit etwas kleineren Lektionen. Sagen Sie einer lieben Freundin oder Ihrem Partner, dass Sie sich freuen würden, wenn der Ort, die Zeit oder das Format eines Treffen etwas besser Ihren Bedürfnissen angepasst wäre.

Grenzen setzen für Einsteiger

Was heißt das konkret: Ihre Freundin liebt es vielleicht, sich mit Ihnen im Trubel einer Großstadt zum Kaffeetrinken zu treffen. Sie würden aber viel lieber im Wald mit ihr spazieren gehen. Falls sie den Wald nicht mag, finden Sie gemeinsam einen guten Kompromiss. Das kann ein Spaziergang um den See sein oder ein Café auf dem Lande. Oder eine ganz andere bisher gar nicht bedachte Option. Möglichkeiten gibt es unendlich viele. Schauen Sie, ob Ihre Freundin offen ist für eine Veränderung oder ob sie auf dem Großstadt-Treffen besteht.

Wenn jemand seelisch gesund ist, werden Sie ohne Streit neue Vereinbarungen finden, die für beide in Ordnung sind. Notfalls geht man einmal in die Großstadt und ein andermal in den Wald. Im Wechsel. Besser ist aber, eine Schnittmenge zu finden. Fragen Sie Ihre Freundin, was genau Sie an den Großstadt-Cafés so schätzt und sagen Sie ihr, warum Sie gerne im Wald spazieren gehen. So arbeiten Sie gemeinsam das jeweilige Bedürfnis klarer heraus. Das ist eine gute Grundlage für ganz neue und unerwartete Lösungen.

Dafür müssen dem anderen Ihre Bedürfnisse wichtig sein. Einen echten Narzissten schert es einen feuchten Kehricht, was Sie brauchen und was Sie sich wünschen. Manchmal täuschen Narzissten aber auch ein solches Interesse aus Kalkül vor. Wenn sie sich etwas von Ihnen erhoffen.

Achten Sie daher unbedingt darauf, was am Ende tatsächlich geschieht. Sonst war alles nur Gelaber. Lassen Sie nicht durchgehen, wenn die getroffenen Vereinbarungen nicht eingehalten werden. Diese Hinhalte-Taktik nutzen Narzissten öfter. Erst wird durch die Verhandlung Zeit geschunden, je länger sich das Ganz hinzieht, desto zermürbender wird es. Am Ende werden Sie durch eine scheinbar annehmbare Lösung beschwichtigt. Die dann – passiv aggressiv – einfach nicht in die Tat umgesetzt wird. Dafür gibt es tausend Ausreden.

Einfache 3-Minuten-Übungen

Wenn Sie lange genug von einem Narzissten abhängig waren, fällt es Ihnen mitunter schwer herauszufinden, was Sie eigentlich wollen. Das müssen Sie trainieren. Einfache Körper-Übungen sind dabei hilfreich. Im folgenden werde ich Ihnen eine Grundübung vorstellen. Nehmen Sie sich dafür drei Minuten Zeit. Sorgen Sie für eine störungsfreie Umgebung (Telefon aus, Tür zu, Glocke abstellen).

Fragen Sie sich, was Ihrem Körper jetzt guttun würde. Jede Kleinigkeit ist willkommen. Lockern Sie beispielsweise Ihren Gürtel, ziehen Sie die Schuhe aus. Ändern Sie Ihre Sitzposition.Justieren Sie den Bürostuhl. Stellen Sie Ihre Füße auf ein Kissen. Holen Sie sich eine Decke. Oder legen Sie die Jacke ab. Nehmen Sie einen Schluck Wasser. Hören Sie nicht auf, bis Sie mit dem Resultat zufrieden sind. Denken Sie dabei an einen Hund oder eine Katze. Bestimmt haben Sie schon einmal beobachtet, wie so ein Tier immer wieder das Kissen platt tritt, auf dem es sich hinlegen will. Nochmal aufsteht, erneut im Kreis lauft, und sich dann wieder hinlegt. Mehrfach. Genau so machen Sie das jetzt.

Und dann: Spüren Sie die Veränderung! Was ist jetzt anders? Wo in Ihrem Körper spüren Sie das? Wie genau zeigt sich die Veränderung dort? Dieser Schritt der Achtsamkeit ist wesentlich für den Effekt der Übung.

Das körperliche Erleben einer selbst herbeigeführten positiven Veränderung gibt uns ein Gefühl der Selbstwirksamkeit. Das ist das Gegenteil von Ohnmacht. Solche kleinen Übungen können den inneren Schalter umlegen von lähmender Resignation auf Handlungsfähigkeit. Es ist wichtig, das nicht nur zu denken – klar, wir wissen alle, dass wir etwas bewirken könnten, wenn wir etwas täten – sondern es zu tun. Das praktische Tun ist unerlässlich.

Starten Sie heute damit. Unabhängig davon, wie aktuell Ihre Beziehungen gestaltet sind. Auch und vor allem dann, wenn Sie noch in einer narzisstischen Verbindung gefangen sind oder unter den Nachwirkungen leiden. Mit irgendetwas müssen Sie anfangen. Vielleicht erleben Sie einen inneren Widerstand gegen die Entwicklung, die Sie damit anschubsen. Es gibt bestimmt einen gehorsamen Anteil, der alles verhindern will, was den Narzissten erzürnen könnte, z.B. Schritte in eine innere Freiheit. Dieser Teil wird Argumente hervorbringen und Ihr Vorhaben sabotieren. Aber es gibt auch einen anderen Anteil. Und er hat Handlungsmacht. Er ist verantwortlich dafür, dass Sie diesen Beitrag lesen und sich meine Gedanken immer noch anhören.

Falls Ihr (vom Narzissten installierter) Saboteur meint, das können Sie doch nicht machen. Es sei eh sinnlos und die Übung wäre reine Zeit-Vergeudung. Lehnen Sie sich nicht auf. Und fangen Sie nicht an, im inneren Dialog zu diskutieren. Eine gute Haltung wäre: „Mag sein, dass Du Recht hast und ich meine Zeit verschwende. Das werde ich riskieren. Eine Drei-Minuten-Übung kann ich mir auf jeden Fall leisten. Wir werden sehen, wohin das führt.“ Und probieren Sie es einfach aus. An diesem Punkt braucht es für die meisten Menschen erst einmal kleine, aber praktisch umsetzbare Schritte, statt eines vierwöchigen Aufenthalts im buddhistischen Kloster, der zeitlich, psychisch und finanziell in weiter Ferne liegt.

Die KGW-Übung

Wenn Sie die Übung nach einer Weile noch etwas ausführlicher machen wollen, empfehle ich die KGW-Übung: 1. Körper, 2. Gefühl, 3. Wunsch. Gemeint ist, im ersten Teil der Übung die körperlichen Empfindungen zu bemerken, so wie eben gerade sind, ohne Bewertung oder Interpretation oder Vergleich. Und ohne bei der einzelnen Empfindung zu verweilen, besonders nicht bei einer unangenehmen. Dann den momentanen Stand der Gefühlslage im zweiten Teil zu erfassen und im dritten Teil einen ganz praktischen Wunsch direkt in die Tat umzusetzen. Diese Übung ist ebenfalls in wenigen Minuten umgesetzt. Sie erfordert nur ein wenig Aufmerksamkeit, ein Innehalten vom Alltag und einen kurzen Blick auf das eigene Sein und Erleben.

Die Gefühlslage in Teil 2 erfasst man intuitiv, indem man spontan die Hände mit parallelen Handflächen vor den Oberkörper hält. Der Abstand zwischen den Händen zeigt das Ausmaß des jeweiligen Gefühls. Man verwendet bei der Übung die fünf Grundgefühle: Angst, Wut, Trauer, Freude und Liebe. Falls Sie andere Gefühle erfassen wollen, achten Sie bitte darauf, dass die Anzahl überschaubar bleibt und dass am Ende der Übung solche Gefühle stehen, die Sie als wohltuend empfinden.

Der 3. Teil der Übung „Wunsch“ erinnert wieder an die Grundübung: Benennen Sie etwas Banales, was direkt umsetzbar ist. Zum Beispiel „ich wünsche, jetzt meine Füße hochzulegen“ oder „ich wünsche, jetzt einen Kaffee zu trinken“.

Übung Energiebilanz

Wer noch keinen Bezug zu seinen körperlichen Empfindungen hat, ist möglicherweise mit KGW überfordert. Seien Sie geduldig mit sich und machen Sie das, was Ihnen liegt. Eine andere Übung ist, die Energiebilanz in Ihrem Leben zu verbessern. Sie betrachten Soll und Haben. Also: Was bringt Ihnen Energie und was kostet Sie Energie? Nicht alles werden Sie spontan ändern können. Aber vielleicht mehr als Sie denken. Jeder kleine Schritt zählt.

Schreiben Sie zunächst alles auf, was Ihre Batterien auflädt. Das können Dinge, Menschen, Beschäftigungen, Erlebnisse, Orte etc. sein. Sammeln Sie zunächst alles ohne Rücksicht darauf, wie leicht oder schwer es umzusetzen ist. Teilen Sie erst dann das Notierte in Früchte, die tief hängen, und solche, die sich in den oberen Baumwipfeln befinden. Nun pflücken Sie das reife Obst – zuerst das bequem zugängliche.

Im zweiten Teil erkennen und benennen Sie Energiefresser. Machen Sie eine Liste. Sie werden ihnen die Energie langsam und schrittweise oder sofort und radikal entziehen. Welche Vorgehensweise möglich und angemessen ist, entscheidet die jeweilige Situation. Was (oder WER) raubt Ihnen Kraft? Wie können Sie den Energieaufwand reduzieren?

Das wissen Sie doch alles längst? Und es ändert sich nichts? Schreiben Sie es unbedingt auf. Es nützt nichts, kurz daran zu denken. Sie werden die Erkenntnis im Alltag beiseite schieben und zurück in Ihr Hamsterrad steigen.

Machen Sie einen Vertrag mit sich selbst. Unterzeichnen Sie ihn. Das hat eine energetische Wirkung, die man nicht unterschätzen darf.

Versprechen Sie sich beispielsweise, die redebedürftige Nachbarin bei der nächsten Begegnung nach 5 Minuten freundlich zu verabschieden, statt sich ihre Klagen über die Familie zum hundertsten Mal in aller Ausführlichkeit anzuhören. „Wie schön, dass wir miteinander geplaudert haben. Jetzt will ich los. Ihnen noch einen schönen Tag.“ Und dann? NICHT stehenbleiben und warten, ob sie Ihnen die Erlaubnis gibt, sich zu entfernen. Die Dame ist ja nicht die Königin von Saba. Sie sind ein freier Mensch und bestimmen ihren Aufenthaltsort selbst. Sie gehen direkt nachdem Sie den Satz gesprochen haben. Sonst quasselt die Frau einfach weiter als hätten Sie gar nichts gesagt. Zumindest, wenn ihre narzisstischen Anteile gerade die Oberhand haben.

Glauben Sie mir: Es macht einen Unterschied, ob Sie das aufschreiben. Egal, ob das Schriftstück Tippfehler hat oder die Formulierung ausgefeilter sein könnte. Lassen Sie Ihren Perfektionismus der gesunden Entwicklung nicht im Wege stehen. Auch er ist menschgemacht: Narzissten suchen ja immer etwas, womit sie jemanden abwerten können. Alltägliche Fehler kommen ihnen dabei gerade recht. In der Folge versuchen die Opfer, sich nur ja keinen Patzer zu erlauben. Damit niemand sie beschimpft oder bestraft. So funktioniert das Muster. Setzen Sie ein bewusstes Stopp-Schild.

Verbringen Sie mit Energievapiren so wenig Zeit wie möglich. Sehen Sie Ihnen nicht direkt in die Augen, sondern auf den Punkt zwischen den Augenbrauen. Wenden Sie sich gezielt anderen Menschen zu. Wechseln Sie das Thema, wenn es Ihnen den Energiestöpsel zieht. Nichts und niemand hat das Recht, Ihnen die Lebenskraft abzusaugen. Es ist wichtig, dass Sie mit dieser Ressource schonend umgehen. Sie haben nichts zu verschenken. Und gar nicht, wenn Sie gesundheitliche Probleme haben. Denn dazu kommt es leider oft.

Krankheit als Schutzschild

Falls Ihrem Körper aufgrund des narzisstischen Missbrauchs irgendwann die Puste ausgeht, ist das nicht verwunderlich. So ein Leben ist wahnsinnig anstrengend. Wenn es aber passiert, dass eine ernsthafte Erkrankung Sie zum Innehalten zwingt – nutzen Sie unbedingt diese Chance!

Immer wieder höre ich von Krebspatienten, dass Sie sich seit der Diagnose endlich frei fühlen, auch einmal Nein zu sagen. Jetzt fühlen sie sich berechtigt, sich um sich selbst zu kümmern. Manche sind erstaunt darüber, dass sie sogar ein bisschen erleichtert über die Wendung ihres Schicksals waren, weil sie dadurch einen Grund haben, den niemand hinterfragt, um sich aus dem Alltagstrott auszuklinken, sich den Erwartungen und dem ganzen Huzzel zu entziehen.

Das ist einerseits verständlich, andererseits traurig. Wie weit muss es kommen, damit man seine eigenen Bedürfnisse wahr- und ernst nimmt? Besser wäre es natürlich, Grenzen zu setzen, ohne dass man eine Krankheit als Schutzschild braucht. Da sind wir uns einig. Nun ja, wenn es tatsächlich soweit gekommen ist, machen Sie das Beste aus der Situation. Wann, wenn nicht jetzt? Nutzen Sie den Schwung der notwendigen Veränderung und beginnen Sie ein neues Leben. Ihr Leben.

Auch kleine Veränderungen können tiefgreifende Konsequenzen für Ihr Erleben haben. Nicht jeder wechselt den Wohnort, beendet die Ehe und sucht sich einen neuen Job auf einmal. Manchmal mag das angemessen sein, aber gewiss nicht immer. Finden Sie das Ihnen gemäße Ausmaß und Tempo. Als Richtschnur können die vier Kardinaltugenden dienen. Sie geben Orientierung in den sonst haltlosen Zeiten des Wandels.

Die vier Kardinaltugenden

Fragen Sie sich zuerst, ob ein Vorhaben KLUG ist. Wenn es das nicht ist, erübrigen sich alle weiteren Betrachtungen. Dann prüfen sie, ob es GERECHT ist. Das hat viel mit Ihrem Weltbild zu tun. Ist es gerecht, dass Sie ein bisschen mehr Freude an Ihrem Leben haben dürfen als bisher? Natürlich nicht unbedingt, wenn dann jemand unnötig leidet. Außer das ist der Narzisst. Er wird immer unter einem Rückzug oder einer Trennung leiden. Das erlebt er als untragbare Kränkung. Wenn Sie darauf Rücksicht nehmen wollen, wird das nichts. Das führt uns zur dritten Tugend: Entspricht es Ihrer Vorstellung von TAPFERKEIT? Wenn Sie vor etwas Angst haben, es aber als für Sie gut und richtig erkannt haben, erfordert die Entscheidung und ihr Umsetzen in Handlung Mut. Mut ist bekanntlich nicht die Abwesenheit von Angst, sondern die Entscheidung, dass es Wichtigeres gibt. Die vierte Tugend ist ein Balanceakt, den wir alle immer wieder vollziehen: Es geht um das rechte MASS. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Maßhalten erfordert Selbstdisziplin. Wir kennen das vom Essen. Aber auch von allen anderen Betäubungs- und Ablenkungsgewohnheiten.

Das rechte Maß kann und muss sich bei Opfern von narzisstischem Missbrauch vor allem auf den Leistungsbereich beziehen: Hören Sie auf, ständig nützlich sein zu wollen. Kultivieren Sie stattdessen ganz gezielt Mußestunden. Lustwandeln Sie durch einen Park, lesen Sie einen Roman (nein, kein Fachbuch für Ihre Arbeit!) oder besuchen Sie eine Kunstausstellung. Essen Sie mit Genuss und Freude – ohne penibel auf Kalorien oder anderen Nährwerte zu achten. Verfallen Sie nicht in den Gesundheitswahn und bewegen Sie sich nur noch, weil Ihre erhöhte Blutzirkulation dann bestimmte Körperfunktionen unterstützt. Das Instrumentalisieren ist eine Disziplin der Narzissten. Sie dürfen sich an Ihrem Sein und Tun auch einfach mal nur erfreuen, ohne dass es einen Zweck erfüllen muss.

Helfen aus dem Herzen heraus

Wenden Sie sich Ihren eigenen Bedürfnissen zu und werden Sie nicht zum Bedürfniserfüller für andere. Ich weiß, das fühlt sich zunächst gut an. Oft ernten wir für kleine Gefälligkeiten bis hin zum vorauseilenden Gehorsam Lob und Anerkennung. So kennen Sie es und das funktioniert in vielen Zusammenhängen sogar ganz gut. Langfristig ist es gesund und gut, wenn sich jeder für seine eigenen Bedürfnisse verantwortlich fühlt. Was wir für andere tun, verliert dann den Druck – und zwar für beide Seiten. Wir müssen niemanden mehr gegen seinen Willen beglücken. Und wir müssen keine Hilfe annehmen, ohne die wir besser dran wären. So gestaltet sich eine freie Beziehung auf Augenhöhe mit gegenseitiger Wertschätzung und Respekt für sich und den anderen.

Text: Petra Weiß
Bild: Kurt / pixelio.de

Zum Weiterlesen aus meiner Feder:

Nachtrag

Mir ist bewusst, dass Narzissten auch Menschen sind. Ich habe Verständnis und Mitgefühl. Ein Leben ohne Anbindung an das eigene Selbst, ohne herzliche Verbundenheit mit anderen und ohne die Chance auf Entwicklung aus einer gesunden Selbstreflexion heraus stelle ich mich anstrengend, frustrierend und leer vor. Über das Ausmaß der Einsamkeit und die Verzweiflung können wir uns kein Bild machen. Vor allem deshalb nicht, weil der Narzisst sich kaum damit outen wird.

Wie Narzissmus entsteht, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Die einen sprechen von einer mehr oder weniger bewussten Entscheidung, die anderen von einer Auswirkung elterlicher Ablehnung. Beides ist möglich. Ich kann das weder bestätigen noch verneinen. Als Traumatherapeutin kann ich nachvollziehen, dass schwere Traumata allerlei Verzerrungen in der Psyche bewirken können. Dieser Erklärungsansatz erscheint mir plausibel.

Vielleicht ist es sinnvoll, noch eine spirituelle Sichtweise hinzuzufügen. Womöglich geht es in den Leben tatsächlich darum, möglichst unterschiedliche Erfahrungen zu sammeln. Dann wählen wir jene Rahmenbedingungen, die dafür dienlich sind, ganz verschiedene Blickwinkel zu ein und demselben Thema einzunehmen. So entsteht eine multi-perspektivische Erfahrung. Wir sind also einmal Täter, einmal Opfer, einmal Retter. Einmal Mutter, einmal Sohn. Einmal Ehemann, einmal Geliebter, und so weiter.

Ohne jemanden der Verantwortung für seine Taten entheben zu wollen und auf der Suche nach Sinn: Könnte es nicht sein, dass die Seele, die uns heute als Narzisst begegnet, früher ein Leben voller Schuldgefühle geführt und sich für andere aufgeopfert hat? Oder dass irgendeine (spirituelle) Praktik eine Trennung vom Selbst und damit eine Trennung von allen anderen beseelten Wesen bewirkt hat, die in dieses Leben fortwirkt?

Es steht uns nicht zu, Menschen zu verurteilen, die eine psychische Störung haben. Gleichzeitig haben wir das Recht, uns vor den Auswirkungen ihres Tuns zu schützen. Dazu ist es notwendig zu erkennen, was wir unsere eigenen Wertesystem gemäß als gut und was wir als schlecht einstufen. Wie bei jedem anderen Menschen auch. Eine Handlung dürfen und müssen wir sehr wohl bewerten. Und entscheiden, welche Verhaltensweisen wir in unserem Leben wollen und welche nicht. Lassen Sie dem Narzissmus und dem Narzissten nicht zu viel Raum in Ihren Gedanken und wenden Sie sich gezielt auch anderen Themen und Menschen zu. Und vor allem lassen Sie die Hoffnung endlich sinken, er könnte sich grundlegend ändern. Das kann und wird er nicht.

Eine Persönlichkeitsstörung ist (leider?) keine Krankheit, die man heilen kann. Wie der Name schon sagt, ist sie tief in der Persönlichkeit verankert. Mit manchen solcher Störungen kann der Betroffene umgehen lernen. Bösartige Narzissten, maligne Narzissten oder Hochnarzissten, wie sie manchmal genannt werden, um die es in meinem Beitrag geht, können aufgrund des Wesens ihrer Störung mit psychologischer Hilfe leider wenig anfangen. Außer dass sie ihre Manipulation noch ausgefeilter an den Mann bringen. In der Regel versuchen sie, auch den Therapeuten zu manipulieren. Daher wendet sich mein Text nicht an sie. Sie müssen es ertragen, dass ausnahmsweise einmal jemand anders, in diesem Fall ihre Opfer, im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen.

In der Nacht nach der Veröffentlichung dieses Beitrags bin ich lange wachgelegen und hatte Angst. Aufgrund meiner bewährten Methoden konnte ich mein Nervensystem regulieren. Mir wurde noch einmal am eigenen Leib deutlich, wie mächtig die Vorstellung ist, Narzissmus aufzudecken, sei ein Verbrechen, das vom nächstbesten Narzissten bestraft wird. Mit diesem frischen Erlebnis im Überwinden der Angst komme ich noch einen Schritt weiter bei meinen Einsichten.

Meiner Überzeugung nach macht das Universum keine Fehler. Wenn es Narzissten gibt, dann hat das einen guten Grund. Ihr ganzes Verhalten ist dadurch bedingt, dass sie keine Anbindung an ihr Selbst haben. Und da das Selbst mit anderen Selbstes (gibt es eine Mehrzahl?) in der geistigen Welt kommuniziert, erreicht dieser Austausch nicht das narzisstische Individuum. Es bleibt isoliert. Welchem Zweck soll das dienen?

Betrachten wir die Tipps in diesem Beitrag mal als Resultat der Existenz von Narzissmus. Dann hilft er uns, den Wert einer Anbindung an die geistige Welt zu begreifen. Er ruft uns dazu auf, unser eigenes Selbst zu erkunden, gesunde Verbindungen zu pflegen und uns den Versuchungen zu entziehen, die uns davon abhalten. Je ausgeprägter die Form ist, in der er uns begegnet, desto dringender ist die Notwendigkeit, unsere eigenen Bedürfnisse zu erforschen. Damit hätte Narzissmus eine wichtige Bedeutung für die Entwicklung der Menschheit. Und die Menschen, die diese Rolle für uns alle übernommen haben, sind ein wertvoller Teil des Ganzen.

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