Wollen Sie sich ein Bild darüber machen, aus welchen Situationen heraus einem Menschen mit den Methoden geholfen werden kann, die ich in meiner Praxis anbiete? Zu diesem Zweck veröffentliche ich hier meinen ganz persönlichen Erfahrungsbericht:
„In meinem Leben ist weiß Gott nicht alles glatt gelaufen. Als Kleinkind war ich bei verschiedenen Pflegefamilien untergebracht. Im Alter von neun Jahren habe ich meinen Bruder auf tragische Weise verloren. Das Verhältnis zu meinen Eltern war von unlösbaren Konflikten geprägt. Immer wieder kam es zu Kontaktabbrüchen.
Dabei sah mein Werdegang auf den ersten Blick nach einer Erfolgsstory aus: Ich habe früh geheiratet, war mit Karriere und Hausbau beschäftigt. Von außen betrachtet hätte man meinen können, es ginge mir gut.
Tatsächlich war ich niemals wirklich in Ruhe, fühlte mich getrieben, unfähig, mich zu entspannen. Ich konnte mich schwer abgrenzen, überlastete mich maßlos und sorgte ganz schlecht für mich. Mein Gemüt war insgesamt bewegt mit reichlich Höhen und Tiefen. Oft fühlte ich mich unglücklich und einsam.
Körperliche Missempfindungen traten unter Stress auf: Stellenweise wurden ganze Partien taub. Seltsame Hautveränderungen und später unerklärliche Schmerzen bremsten mich monatelang aus. Bis nach langen Untersuchungen endlich eine „Autoimmunerkrankung“ diagnostiziert wurde.
Nach meiner ersten gesundheitlichen Krise wusste ich, dass ich so nicht weitermachen konnte. Ich war 33 und mit meinen Kräften am Ende. Also änderte in binnen kurzer Zeit das private und berufliche Umfeld radikal.
Merkwürdigerweise hörten die Überforderungsgefühle nicht auf, obwohl ich nun selbstständig war und keinen Chef mehr für meine Überlastung verantwortlich machen konnte. Nachdem ich mich aus meiner Ehe gelöst hatte, schlitterte ich von einer Beziehungskatastrophe in die nächste. Durch meinen Mangel an Grenzgefühl lies ich mich auf narzisstische Kunden und bindungsgestörte Männer ein.
Mithilfe von Fachleuten habe ich versucht, meine Probleme zu bewältigen. Das Familienstellen begegnete mir erstmals 2003 durch den Tipp einer guten Freundin. Vertieftes Wissen über die verborgenen Dynamiken (durch Heimatvertreibung und anderes schweres Schicksal in meiner Familie) halfen, Ordnung ins System zu bringen. Ein wichtiger Meilenstein meiner Genesung.
Neben hilfreicher Unterstützung durch systemische und spirituelle Beratung kam ich mit Ende zwanzig zu einer Verhaltenstherapeutin. Die Bedingungen in ihrer Praxis waren gruselig: Sie behandelte die Menschen im 25-Minuten-Takt. Und währenddessen musste sie jeweils noch dem nächsten Patienten die Tür öffnen, wozu sie den Behandlungsraum verließ.
Tapfer ging ich zu der Psychologischen Psychotherapeutin, weil es zu dem Zeitpunkt die scheinbar beste Option war. Außerdem wurde die Behandlung von der Krankenkasse bezahlt. Ja, ich weiß, das ist ein schwaches Argument und vor allem kein Qualitätskriterium. Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich damals wertvolle Erfahrungen gesammelt habe, wie man es NICHT macht. Fast erscheint es mir als ein Wunder, dass ich mich später noch einmal auf eine Therapie einlassen konnte.
2010 entdeckte ich Somatic Experiencing (SE), eine Form der Psychotherapie, die sich von anderen wesentlich unterscheidet: Sie ist körperorientiert. Richtig darunter vorstellen konnte ich mir eigentlich nichts. Jede noch so gute Erklärung blieb letztlich abstrakt. Aber etwas in mir wusste sofort, dass ich hier richtig bin.
Rasch fand ich eine erfahrene SE-Praktikerin und nahm jeden Monat eine Sitzung bei ihr in Anspruch. Bei ihr fühlte ich mich von Anfang an gut aufgehoben. Mit kleinen Rückschlägen ging es mir peu à peu deutlich besser. Anfangs rettete ich mich von Sitzung zu Sitzung. Mit der Zeit wurden die guten Phasen zunehmend länger. Und ich konnte mir zwischen den Terminen immer besser selber helfen.
Diese Frau war es, die mich auf die Schiene setzte, mein therapeutisches Spektrum in Richtung Trauma zu entwickeln. Noch parallel zu meiner eigenen Therapie begann ich eine Ausbildung in Somatic Experiencing, die drei Jahre dauerte. Damals habe ich nicht geahnt, dass SE eine meiner am häufigsten angewendeten Methoden werden würde.
Wie sehr meine frühen Erfahrungen mein Erleben der Welt, meine Verhaltensmuster und Beziehungsschemata geprägt haben, war mir vorher nicht bewusst. Nun begann ich zu verstehen, wie das alles zusammenhing: meine mysteriöse Amnesie, die meine ersten 12 Lebensjahre bis auf wenige traurige „Highlights“ ins Dunkel legte, meine hartnäckigen Beziehungsprobleme, meine Tendenz, zum Mobbing-Opfer zu werden, und natürlich das Ausbleiben meines Liebesglücks sowie die Anfälligkeit für Autoimmunerkrankungen.
Beim Erlernen der verschiedenen Trauma-Kategorien wurde mir klar, dass ich außer bei den Naturkastastrophen und schweren Unfällen so ziemlich alle Arten von Trauma aus eigenem Erleben kannte.
Wie sich herausstellte, litt ich an einem sogenannten „Global High“. Mein Nervensystem war schon morgens beim Erwachen auf Habachtstellung. Deshalb fand ich überhaupt nicht zur Ruhe, egal wie beruhigend theoretisch die Situation hätte sein können. Weder im Urlaub noch beim Wellnessen kam ich „runter“. Und diese Unfähigkeit abzuschalten belastete mich zusätzlich – Meditation? Unmöglich! – obwohl ich ja nichts dafür konnte. Aber: Woher sollte ich das wissen? Schließlich kannte ich mich nicht anders als „hibbelig“, wie mein ehemaliger Chef zu sagen pflegte.
Mit 42 löste sich mein Global High dann ganz plötzlich auf. Nach neun Jahren Familienstellen und einigen Monaten SE war ich an einem Punkt der Erkenntnis und Heilung angelangt, der mein Leben tiefgreifend verändert hat. Das ist jetzt zwölf Jahre her. Und der anhaltend nervöse Zustand ist nie wieder eingetreten, obwohl ich noch einige Krisen zu meistern hatte.
Natürlich bin auch ich manchmal aus dem Häuschen, rege mich auf, fühle mich angegriffen und werde ärgerlich oder traurig. Oder ich habe Angst, vor allem Verlustängste. Unsere Seele ist nicht ohne Grund mit einer entsprechenden Spannkraft ausgestattet, all diese Empfindungen balancieren zu können. Sie machen das Leben lebendig.
Doch nun weiß ich, wie ich aus den Emotionen wieder herausfinde, ohne darin hängen zu bleiben. Das geht nicht durch Charakterstärke und Willenskraft allein. Die alten Themen aus dem Nervensystem zu befreien, war die Lösung. Erst danach konnte ich mich den Wahrheiten meiner Biografie stellen. Einige Erinnerungen kehrten zurück und wollten bearbeitet werden.
Wer jahrelang Gewalt, tägliche Demütigung oder schwere Verluste erlebt hat und später noch darunter leidet, ist nicht gestört, sondern verletzt. Zu erwarten, derart traumatisierte Menschen könnten sich selbstverständlich genauso stark belasten und wären ebenso resilient wie Leute mit einer „normaleren“ Biografie, ist ein Irrtum. Sich damit zufriedengeben, ein Leben mit angezogener Handbremse zu führen, muss aber auch nicht sein. Man kann wirksam etwas tun!
Durch jahrelanges Üben bin ich eine Meisterin der Selbstregulation geworden. Selten gehen mir die Nerven durch. Und wenn es einmal passiert, hat das in der Regel einen nachvollziehbaren Grund. Mir wird schon in der akuten Situation oder spätestens kurz danach bewusst, wenn meine Emotionen überschießend gewesen sind. Dann suche ich nach dem Trigger, damit ich weiß, welche Saite mein Gegenüber (meist unabsichtlich) angeschlagen hat. Ich muss nicht mehr sofort reagieren, aber ich bin auch nicht mehr wie gelähmt. Das Handlungsspektrum ist insgesamt breiter geworden.
Eine besondere Empfindsamkeit ist mir geblieben. Meine Spiegelneuronen sind so gut trainiert, dass ich sehr in Resonanz mit anderen Menschen bin. Es ist erforderlich, dass ich mich immer wieder zentriere und auf mich besinne. Dafür habe ich meine Methoden.
Vor allem habe ich verstanden, dass ich durch meine Geschichte mehr Rückzug von äußeren Reizen brauche als andere Menschen. Ich stresse mich nicht mehr mit belastenden Umständen, die sich problemlos vermeiden lassen, zum Beispiel in überfüllten Räumen, bei kalter Beleuchtung, Lärm oder schlechter Luft.
Selbstfürsorge war eine Zeitlang mein tägliches Trainingsprogramm bis sie mir in Fleisch und Blut übergegangen ist. Heute muss ich nicht mehr überlegen, ob ich erst noch eine Arbeit zu Ende führe oder für meine körperliche Behaglichkeit sorge, etwa indem ich zur Toilette gehe, etwas Wärmeres anziehe oder mich bequemer hinsetze. Trotzdem passiert es mir manchmal noch. Dann kann ich gnädig mit mir sein und einfach zurück ins „Programm“ finden.
Es ist erschreckend, mit welcher Selbstverständlichkeit ich es mir einst habe schlecht gehen lassen. So als ob es normal wäre. Als hätte ich es nicht verdient, dass es mir gut geht. Die Veränderung zieht sich durch alle Bereiche. Ich erlebe das Ergebnis als habe man mit der grundsätzlichen Entscheidung einen Schalter im Kopf umgelegt. Die Konsequenzen zeigen sich überall.
Zwischenzeitlich pflege ich harmonische und gesunde Beziehungen im privaten und dienstlichen Umfeld. Seit neun Jahren lebe ich in einer glücklichen Partnerschaft. Mein Freundeskreis ist stabil. Beziehungen, die dauerhaft nicht auf Augenhöhe sind, sortiere ich konsequent aus, auch wenn das zuweilen schmerzhaft ist. Grundsätzlich weiß ich, dass man Verluste verkraften kann. Das Leben geht weiter.
Ich liebe meine Arbeit und sorge für ausreichend Ruhezeiten zwischen den Terminen. Auf den gesunden Energieausgleich habe ich ein waches Auge. Bei Bedarf kann ich einfühlsam und respektvoll Grenzen setzen.
Natürlich habe ich meine erste Karriere an den Nagel gehängt. Materiell hätte man auf solchen Wegen viel weiter kommen können. Das weiß ich wohl. Doch in meinem neuen Tätigkeitsfeld bin ich sattelfest, wertgeschätzt und von den Früchten meiner Arbeit das Dach über meinem Kopf bezahlen. Immerhin. Es ist zwar ein kleines, aber ein ausgesprochen schönes Dach 🙂
Man muss nicht alles haben, sondern nur genau das, was man wirklich braucht. Was ich besitze, ermöglicht mir „ein schönes Leben“ nach meinem persönlichen Geschmack: nicht mit Kreuzfahrten in der Karibik, aber mit gelegentlichen Fahrradausflügen, regelmäßigen Geburtstagspartys und einem täglichen Stück selbstgebackenem Kuchen. Das erlebe ich als Alltagsglück. Damit bin ich sehr zufrieden.
Ohne systemische Beratung und Traumatherapie wäre ich vermutlich nicht da angekommen, wo ich heute bin. Ich bin dankbar für die schicksalshafte Wendung, die mein Leben dann doch noch genommen hat. Häufig erlebe ich nun sozusagen eine „innere Karibik“ – nicht jeden Tag, aber immer öfter.
Petra Weiß im November 2024