Gewiss haben Sie schon einmal in den Medien über Kindesmissbrauch gelesen. Sie sind vielleicht schockiert oder verwundert und können sich gar nicht vorstellen, dass Sex mit Kindern – und sogar mit Babys! – überhaupt im echten Leben passiert. Das spricht für ihre seelische Unversehrtheit. Man möchte „so etwas“ lieber in die Kategorie Horror-Geschichten einsortieren und mit seinem Alltag weitermachen. In der Tat verfahren die meisten Menschen genau so: Sie nehmen die Meldungen als Randnotiz wahr, empören sich kurz und gehen dann wieder zu anderen Dingen über. Das ist verständlich und steht Ihnen jederzeit frei. Leider gibt es eine Gruppe von Menschen, die nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können, die von solchen Erlebnissen verfolgt werden, weil sie ihnen widerfahren sind. Und es sind erstaunlich viele.
Das Ausmaß der Katastrophe. In einer groß angelegten Studie der Universität Regensburg mit 28.000 Teilnehmern hat sich herausgestellt, dass 8,5 Prozent der Erwachsenen als Kind sexuell missbraucht worden sind. Wir sprechen von denen, die überlebt haben und an einer Befragung teilnehmen konnten.
Hochgerechnet auf unser Land sind das 6,8 Millionen Missbrauchsopfer. Übertragen wir die Verhältnisse auf eine Kleinstadt wie Weinheim mit etwa 45.000 Einwohnern, dann sprechen wir von 3.825 Geschädigten durch sexualisierte Gewalt in ihrer Kindheit. In Worten: Dreitausendachthundertfünfundzwanzig.
Kennen Sie jemanden persönlich? Laden Sie 12 Freunde zum Abendessen ein, sitzt statistisch gesehen ein Betroffener mit am Tisch. Meinen Sie, Sie kennen „solche Leute“ nicht? Da irren Sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit. Nein, die Leute landen nicht alle als Obdachlose und Drogenabhängige auf der Straße oder im Bordell. Manche schon, aber bei Leibe nicht alle. Die meisten führen ein respektables Leben und man käme nicht im Traum auf die Idee, bei ihnen einen solchen Hintergrund zu vermuten. Glauben Sie mir: Sie blicken selten hinter eine solche Fassade. Das ist zum einen nicht gewünscht und auch nicht notwendig. Zum anderen haben die Überlebenden von Kindesmissbrauch reichlich Übung darin, ihre Probleme für sich zu behalten und einen möglichst normalen Anschein zu erwecken.
„Niemand darf wissen“ gehört zur Grundprogrammierung der Überlebenden. Der Vergewaltiger tut alles dafür, dass das Kind nicht reden wird, dass niemand Verdacht schöpft oder Nachforschungen anstellt. Betrachten wir die gesellschaftliche Ächtung, die den Tätern blüht, dann ist verständlich, dass sie unentdeckt bleiben wollen. Außerdem sind sie sich in der Regel darüber sehr bewusst, dass sie eine Straftat ausüben, auch wenn sie sich das Geschehen selbst manchmal schönreden.
Vielleicht müssen wir zuerst einmal erklären, welche Arten von Tätern es gibt:
Ausweichlösung. Das sind zum einen die sexuell auf Erwachsene Ausgerichteten, die das Kind als „Ersatzlösung“ benutzen, weil sie keinen angemessenen Sexualpartner haben. Wie groß der Anteil dieser Täter ist, kann ich nicht sagen. Möglicherweise ist das auch nur eine Ausrede von Pädophilen, damit sie sich ihrer Neigung nicht stellen müssen. Es ist schwer, etwas zuzugeben, das gesellschaftlich derart geächtet ist, wie diese Neigung.
Lust am kindlichen Leib. Dann gibt es die eigentlich Pädophilen, die Kinder sexuell anziehend finden. Das ist erst mal eine sexuelle Neigung und noch kein Verbrechen. Nicht jeder Pädophile lässt seiner Lust freien Lauf und wird straffällig. Behandlungsbedürftig im psychotherapeutischen Sinne sind sexuelle Störungen nur dann, wenn der Betreffende kein Lustempfinden während einer „normalen“ Sexualität entwickeln kann, wenn die Störung ihn beeinträchtigt, oder wenn sie für seine Beziehung zum Problem wird. Und natürlich spätestens dann, wenn er in Betracht zieht, sich tatsächlich an einem Kind zu vergreifen.
Machtgewinn. Es gibt die Gruppe der im Wortsinne Perversen (verdrehte Sexualität: Sie wird zu anderen Zwecken genutzt als zur Lustbefriedigung oder Fortpflanzung), die sexualisierte Gewalt als Instrument einsetzen, um ihre Machtbedürfnisse zu stillen. Bei Kindern ist das Machtgefälle natürlich besonders groß. Gewalt muss übrigens keineswegs mit Schlägen und Fesseln einhergehen. Emotionale Erpressung und Manipulation des Kindes zählen als psychische Gewalt und sind mindestens ebenso wirksam und schädlich.
Ritueller Missbrauch. So überraschend das für Menschen mit einem gutbürgerlichen Erlebnishintergrund sein mag: Geschlechtsverkehr mit Kindern spielt in bestimmten Glaubensrichtungen eine zentrale Rolle.
Unschuldigen Menschen etwas anzutun, um einen Gott zu besänftigen oder ihm zu huldigen? Wenn man der Geschichtsschreibung glauben darf, gab es seit ewigen Zeiten Menschenopfer. Viele Gemälde zeugen davon, dass sogar Kinder auf dem Blutaltar gelandet sind. Später wurden stattdessen Tiere geopfert und in einigen Religionen gibt es heute noch symbolische Opferungen.
Weiter will und werde ich zu diesem düsteren Thema nichts sagen. Mit rituellem Missbrauch habe ich keine therapeutischen Erfahrungen – weder mit Überlebenden noch mit Tätern. Fachlich und persönlich fühle ich mich nicht qualifiziert, diese Menschen zu begleiten. Jeder psychologische Berater muss seine Grenzen kennen. Das ist meine.
Manchmal geht es einfach nur um Geld. Nicht vergessen darf man, dass Menschenhandel ein lukratives Geschäft ist. Das ist natürlich nur für besonders herzlose Geschöpfe ein Argument, um Menschenleben zu zerstören. Aber immerhin haben wir es in der Gesamtbevölkerung mit etwa 1 % Psychopathen zu tun, die von Geburt an kein Mitgefühl für andere haben. Sie sehen im Sexhandel mit Kindern nur eine Art, Geld zu verdienen. Aufgrund ihrer eigenen Unfähigkeit zu emotionalen Empfindungen haben sie keine Ahnung davon, wie es „der Ware“ dabei geht. Und es interessiert sie auch nicht. Der Möglichkeit, dass psychisch gesunde und normal fühlende Wesen in solche Geschäfte verwickelt sind, kann ich mich nicht öffnen.
Traumatisierte. Eine Sonderstellung unter den Tätern nimmt die Gruppe der Überlebenden ein, die später selbst zu Tätern werden. Sie werden teilweise schon in ihrer Kindheit straffällig und vergewaltigen ihre Spielkameraden. Als Kind können sie nicht einschätzen, wie falsch ihre Handlung ist, wenn sie sie immer und immer wieder zu Hause erlebt haben. In Missbrauchsfamilien wird die Vergewaltigung oft als normal angesehen oder dargestellt. Wenn das Kind früh selbst zum Täter wird, hat es die Chance, aus der Familie genommen und therapiert zu werden. Immerhin. Sie haben zwar schon erheblichen Schaden angerichtet, aber vielleicht kann weiterer und größerer Schaden verhindert werden, den sie als Erwachsene sonst angerichtet hätten.
Tabu. Kommen mir noch einmal zurück zu der Frage, warum das alles bisher an Ihnen vorbeigegangen ist. Kindesmissbrauch ist kein gutes Partygespräch. Über die Erfahrung können viele Überlebenden gar nicht, einige erst nach Jahrzehnten und die meisten nur mit ihrem engsten Umfeld sprechen. Und schließlich will man Ihnen das schwere Thema vielleicht auch einfach nicht zumuten. Wieso sollten Menschen mit Trauma-Erfahrung ihre intimste Verletzung in die Öffentlichkeit tragen?
Sie riskieren, dass man an ihren Aussagen zweifelt und damit womöglich der Fortgang der Ereignisse von damals reinszeniert wird. Womöglich ist ihnen das als Kind so gegangen, als sie Verwandte, Freunde, Lehrer oder Nachbarn ins Vertrauen ziehen wollten. Das macht alles nur noch schlimmer.
Nicht wissen wollen. Aus Perspektive der Zweifler kann das eine Schutzreaktion sein. Da gibt es beispielsweise jene, die das Thema wegblenden müssen, weil sie selbst entweder in der Opfer- oder Täter-Rolle (oder in der Mitwisser-Rolle/passiver Täter) damit zu tun hatten. Es gibt aber noch andere Gründe. Sensible Menschen weigern sich manchmal aus verständlichen Gründen, ihr Friede-Freude-Eierkuchen-Weltbild zu gefährden. Sie leben gut in ihrer heilen Welt und wollen, dass das so bleibt. Manch anderer wiederum ist so mitfühlend, dass er die Schwere der emotionalen Auswirkung einfach nicht ertragen kann, wenn er offenen Herzens mit dem Betroffenen und seinen Erlebnissen in Resonanz geht.
Alles Lüge? Und dann kommt noch das Totschlagargument, dass die angeblichen Geschädigten vielleicht nur lügen, um jemanden in die Pfanne zu hauen oder sich wichtig zu machen. Das ist möglicherweise schon mal vorgekommen. Sonderermittlungseinheiten zu Kindesmissbrauch verlautbaren, dass es bei ihren Befragungen der Kinder sehr, sehr selten zu falschen Anschuldigungen kommt. Ganz im Gegenteil: Häufig versuchen die Kleinen, den Täter sogar zu schützen und manchmal sagen sie gar nichts oder ziehen ihre Anschuldigung sogar zurück, die sie zuvor der Mama oder Lehrerin gegenüber unter vier Augen vertrauensvoll geäußert hatten. Doch nicht jede reuevoll zurückgezogene Aussage zeugt von einer nicht erfolgten Tat.
Unglückliche Strategie. Wahrscheinlicher ist eine misslungene Salami-Taktik: Wenn im schlimmsten Fall der eigenen Vater der Täter war, outen sich die Überlebenden selten im ersten Schritt mit dieser schrecklichen Wahrheit. Sie tasten sich heran, was die Leute bereit sind ihnen zu glauben. In ihrer Verzweiflung nennen sie daher mitunter einen falschen Täter, der ihnen nicht so nah steht oder jemanden, dessen gesellschaftliches Ansehen ohnehin schon angeknackst ist. Die Psychodynamik ist mir klar. Zielführend ist die Strategie leider nicht. Durch die falsche Aussage passiert genau das, wovor die Geschädigten am meisten Angst haben: dass ihnen niemand glaubt.
Hören Sie genau hin, wer mit diesen Ausnahmefällen die These untermauern will, das gäbe es alles nicht oder die Vorwürfe seien oft ja nur Lügen. Diese Behauptungen dienen den Tätern sehr. Wer mag Interesse haben, sie zu entlasten?
Statistik des Bundeskriminalamtes. Vor einigen Jahren hatte ich mir mal die Mühe gemacht, die Statista-Daten hochzurechnen und war auf rund eine Million behördenkundliche Fälle in Deutschland gekommen. Das sind die Taten, die zur Anzeige gebracht wurden. Die Daten stammen von den Kriminalbehörden.
Wir haben also eine erhebliche Zahlenabweichung: 1 Million zu 6,8 Millionen. Nehmen wir einfach mal an, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt. Wobei das keinesfalls sicher ist. Wie kommt es zu der Differenz? Ganz einfach: Kaum ein Überlebender geht zur Polizei.
Aussichten bei Anzeigen. Von all den Menschen mit Missbrauch in der Geschichte, die ich privat oder über meine Arbeit in der Praxis kennengelernt habe, hat nur eine Frau den Täter angezeigt. Es kam tatsächlich zu einer Gerichtsverhandlung. Sie hat verloren. Wie hätte sie auch eine Tat nachweisen sollen, die dreißig Jahre her ist? Es stand Aussage gegen Aussage. Vom Rest der Familie war das Geschehen angeblich unbemerkt geblieben. Niemand konnte oder wollte ihre Aussage unterstützen. Nach der Anklage war sie von ihrer Familie ausgestoßen, weil sie „den armen Vater mit solch absurden Vorwürfen gequält hatte“. Eine typische Opfer-Täter-Umkehr, wie wir sie aus vielen Missbrauchsfamilien kennen.
Unbemerkt. Kann es denn sein, dass ein Mann sich jahrelang an seinem Kind vergeht, ohne dass jemand im direkten Umfeld davon Wind bekommt? Es kann. Die einen haben glücklicherweise noch nie mit solchen Dingen zu tun gehabt. Ihr Weltbild verhindert die Wahrnehmung, weil Missbrauch darin einfach nicht vorkommt. Die anderen haben eigene Erfahrungen gemacht, die sie mühsam ausblenden und sind daher auch für neue Eindrücke ähnlicher Art blind. Erschreckend viele Mütter decken den Missbrauch, indem sie merkwürdige Beobachten nicht ansprechen, selbst wenn sie Verdacht schöpfen. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Weil man seinem eigene Mann doch nicht SO EINEN Vorwurf machen kann. Und auch ein bisschen, weil man ja selbst als Mitwisser schuldig ist, wenn man nichts unternimmt, um das Kind zu schützen. Wohl wahr.
Hatte die erwachsene Tochter sich das Ganze möglicherweise ausgedacht, um sich an ihrem Vater für die schwere Kindheit zu rächen? Oder hat ihr Gedächtnis ihr einen Streich gespielt und ihre Phantasie ist mit ihr durchgegangen? Nein. Unter vier Augen hatte der Vater ihr gegenüber unumwunden seine Tat zugegeben und versucht, sich zu rechtfertigen. Die Sachlage ist in diesem Fall glasklar.
Die meisten Täter waren in ihrer Kindheit selbst Opfer. Das entschuldigt gar nichts. Und es heißt keineswegs – Gott bewahre! – dass alle Überlebenden später zum Täter werden. Aber das ist ein weiterer Grund, warum manche Geschädigten ihren Peiniger nicht anzeigen. Sie verüben ähnliche Verbrechen und wollen dafür auch nicht angeklagt oder verurteilt werden. Falls man sich mal für einen Moment auf die Opfer-das-zum-Täter-wurde-Sicht einlassen will, ist das verständlich.
Täterschutz aus Liebe. Ein weiterer Grund, die Tat nicht zur Anzeige zu bringen, liegt auf der Hand: Eine wichtige persönliche Beziehung ist dann in Gefahr. Oder sogar mehrere. Zum Beispiel die von der Tochter zum Vater. Und gleichzeitig auch die zwischen den Eltern. Die Familie, wie das Kind sie bisher kannte, wird mit großer Wahrscheinlichkeit zerbrechen.
Wir dürfen nicht vergessen, dass Gefühle ambivalent sein können. Während man auf einen Menschen große Wut hat, kann man ihn gleichzeitig sehr lieben. Die Liebe von einem Kind zu seinen Eltern hört mit dem Missbrauch nicht automatisch auf. Oft geht sie weiter. In vielen Fällen wohnen die Betroffenen noch jahrelang mit dem Täter unter einem Dach, erleben mit ihm Alltag und Familienleben, erhalten von ihm Unterstützung und Hilfe im normalen Miteinander.
Glauben Sie bitte nicht, alle Täter seien durch und durch Monster. Sie sind Menschen. Einige von ihnen haben durchaus liebenswerten Seiten. Das macht es für die Überlebenden nicht leichter.
Aufgrund der existenziellen Abhängigkeit als Kind sind sie oft gezwungen, sich mit ihrem Peiniger zu verbünden, nehmen sogar manchmal seine Sicht zu dem Tatbestand an.
Systemische Gesichtspunkte. Letztlich ist auch die Beziehung zur Mutter und zu den Geschwistern von dem Missbrauch betroffen. Weiß die Mutter davon, wird sie die Tochter vermutlich nicht in ihrem Outing unterstützen, sondern im Gegenteil sogar den Täter schützen. Weiß sie nichts davon, wird sie schockiert sein und aus allen Wolken fallen. Je älter die Kinder sind, desto eher wird ihnen bewusst, welche Konsequenzen es haben kann, wenn sie sprechen. Das Benennen des Vergehens kann zu behördlichen Ermittlungen führen, was im Endeffekt den Vater ins Gefängnis bringen kann. Das hat Auswirkungen auf die ganze Familie, die nicht jedem Mitglied gefallen. Und wenn es nicht zur Inhaftierung führt? Dann hat die Tochter oder der Sohn noch mehr Terror zu Hause zu erwarten.
Drohungen und Erpressung. Perfider Weise sind die Verhältnisse in Missbrauchsfamilien manchmal wie bei einer Geiselnahme: Der Täter behauptet dreist, eine Geisel sei durch ihren Ungehorsam Schuld, dass alle nun leider noch mehr gequält werden müssten. Auch emotionale Erpressung ist häufig im Spiel: „Wenn Du davon sprichst, was hier passiert, wird es Deiner Mutter schlecht gehen.“
Schuld und Scham. Häufig redet der Täter dem Opfer ein, es sei in irgendeiner Weise selbst schuld. Leider ist er damit in der Regel erfolgreich. Merkwürdig, finden Sie? Die Dynamik ist beim Familienstellen oft zu beobachten, dass JEMAND eine Schuld annimmt, die im Raum steht. Und wenn es der eigentliche Täter nicht tut, findet sich jemand anders. Zur Not das Opfer.
Dasselbe gilt für die Scham. Je unverschämter der Täter zur Tat schreitet, desto mehr schämt sich das Opfer hinterher. Scham ist ein qualvolles Gefühl. Es verhindert das Berichten über die Tat wirksam. Und wenn diese Scham nicht bearbeitet wird, schreitet die Zerstörung, die sie in der Seele und eventuell auch im Körper anrichtet, immer weiter voran.
Schutz vor Verletzungen. Ein biochemischer Vorgang scheint dem Täter auf den ersten Blick sogar Recht zu geben. Hierüber braucht es dringend Aufklärung, um die betroffenen Mädchen zu entlasten.
Neurobiologen haben herausgefunden, dass die Reizverarbeitung der sexuellen Erregung bei Männern und Frauen grundsätzlich unterschiedlich abläuft: Männer werden erregt, indem sie eine nackte Frau betrachten oder sich vorstellen. Deshalb sind sie die Hauptabnehmer von Sexheftchen und Pornofilmen. Frauen werden erregt, wenn sie einen erregten Mann sehen. Dass der Mann erregt ist, löst bei ihnen biochemische Prozesse aus, die zum Feuchtwerden der Scheide führen. Entwicklungspsychologisch erklärt man sich das so, dass der weibliche Körper versucht, Verletzungen minimal zu halten, wenn es zu Geschlechtsverkehr kommt – egal, ob die Frau dem Akt willentlich zustimmt oder nicht.
Aus trauma-sensibler Sicht kann ich in dem heiklen Thema noch zwei Ergänzungen hinzufügen.
Erregungsübertragung. Zum einen sind Nervensysteme „ansteckend“. Das gilt für alle Erregungszustände, auch für Freude, Wut, Angst oder Trauer. Sensible Menschen nehmen häufig die Gemütszustände ihres Gegenübers wahr. Sitzen sie in der Bahn zufällig neben einem wütenden Zeitgenossen, spüren sie in sich Ärger, ohne zu wissen warum. Pädophile Täter sind SEHR erregt, wenn sie sich einem Kind in sexueller Absicht nähern. Schon allein durch das Phänomen der Erregungsübertragung ist erklärbar, wenn die Geschädigten bei dem Geschehen eine sexuelle Erregung spüren. Es ist aber nicht ihre eigene, sondern die durch Empathie mitempfundene Erregung des Täters.
Vorauseilender Gehorsam. Zum anderen kann man in Wiederholungsfällen beobachten, dass es zu dem merkwürdigen Phänomen des vorauseilenden Gehorsams kommt. Die Kinder bieten sich dem Täter regelrecht an. Wie lässt sich das erklären? Nach mehrmaliger Vergewaltigung entwickelt das Kind ein Gespür dafür, wann es bei dem Täter „wieder soweit ist“. Es weiß, dass es kein Entrinnen gibt. Die Tat wird passieren. Darüber hat das Kind keinerlei Macht. Unterbewusst versucht es, ein ganz kleines Stück Kontrolle zurückzugewinnen, indem es zumindest den Zeitpunkt (mit-)bestimmt. NACH dem vom Täter gewählten Zeitpunkt wird es nicht sein können. Die einzige Einflussnahme besteht also darin, den Zeitpunkt vorzuziehen. Spürt es also das Verlangen des Täters anbranden, wird es sich nicht aus Lust an der Tat, sondern aus Verzweiflung anbieten.
Diese Dynamik vorauseilenden Gehorsams gilt auch für anderer Lebensbereiche. Jemand hat sich damit abgefunden, dass er etwas tun muss, was er nicht will. WENIGSTENS den Zeitpunkt will er bestimmen. Dabei sammelt er vielleicht auch noch Pluspunkte beim Peiniger. Das bringt uns zu einem weiteren Punkt.
Biologisches Traumareaktionen. Vom Fight-or-Flight-Reflex haben Sie vielleicht schon gehört. Gerät man unter Bedrohung, stellt der Körper blitzschnell Kraftreserven zum Kämpfen oder Flüchten bereit. Eine hormonelle Kaskade wird ausgelöst, die den kompletten Körper in Alarmbereitschaft versetzt. Unbewusst entscheiden wir in Sekundenbruchteilen aus unserer Erfahrung und der aktuellen Situation heraus, ob Davonrennen oder sich dem Gegner stellen aussichtsreicher ist. Ist beides ohne Hoffnung, „machen wir das Opossum“. Wir stellen uns tot, werden passiv und leblos. Wir können emotionale und körperliche Empfindungen abschalten und „beamen“ unseren Geist davon.
Ich kannte eine Missbrauchs-Überlebende, bei der dieser Mechanismus so perfektioniert war, dass sie beim Zahnarzt grundsätzlich keine Betäubungsmittel brauchte. Ihr Bewusstsein konnte den Körper bei Bedarf verlassen.
Eine Variante von Stockholm. Neben Kampf, Flucht und Totstellreflex gibt es eine vierte biologische Reaktion auf Lebensbedrohung, die viel zu wenig bekannt ist: „tend & be friend“. Das heißt beschwichtigen und Freundschaft anbieten. Als soziale Wesen liegt es in unserer Natur, uns mit jemandem zu verbünden und Hilfe zu suchen, wenn wir bedroht werden. Das kann auch der Täter sein. Vielleicht haben Sie schon einmal vom Stockholm-Syndrom bei Geiselnahmen gehört. Die Betroffenen schließen mit dem Täter Freundschaft in der Hoffnung, dass es ihnen damit besser geht als mit den anderen Optionen. Das ist keine bewusste Entscheidung, sondern ein instinktives Überlebensprogramm.
Sexuelle Störungen. Eine gravierende Auswirkung des Missbrauchs ist ein anderer Grund, dass die Überlebenden nicht sprechen. Sie schämen sich nicht nur – stellvertretend für den Täter – für die damalige Tat, sondern auch für ihr eigenes Sexualverhalten im späteren Leben. Als Traumafolge entwickeln Überlebende von Kindesmissbrauch leider häufig sexuelle Störungen, mit denen sie als Erwachsene zu kämpfen haben. Beispielsweise kann eine Sex-Sucht als Störung im Hintergrund mitlaufen, eine erfüllende Sexualität verhindert oder das ganze Leben beeinflusst.
Sowohl die Abstinenz als auch der willkürliche Geschlechtsverkehr mit Fremden sind als Bindungsvermeidungs-Taktiken zu werten. Kein Wunder, wollen sich die Betroffenen zunächst auf niemanden mehr einlassen, wenn sie von vertrauten Menschen als Kind missbraucht worden sind. Das enge Umfeld als Täterkreis ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Kindesmissbrauch ist üblicherweise eine Beziehungstat durch Eltern, Onkel, Großeltern, „gute Freunde des Hauses“, Lehrer, Nachbarn, Sporttrainer, Priester, etc.
Die Überlebenden fühlen sich noch Jahre später schmutzig und unwert. Manche machen aus der Not – nein, keine Tugend, aber einen Broterwerb – und prostituieren sich. So weit muss es nicht kommen. Aber generell kann man sagen, dass das natürlich Abwehrverhalten gegenüber sexuellen Annäherungen beeinträchtigt ist. Ob sie selbst Sex wollen, steht nicht zur Debatte, wenn der andere es will, dann machen sie es halt. So schleppen die Betroffenen viele Erinnerungen mit sich herum, auf die sie nicht stolz sind.
Wiederholungszwang. Leider kann aufgrund des Traumas ein Wiederholungszwang eintreten: Das Opfer sucht sich einen neuen Täter, um das Drama zu reinszenieren. Das geschieht natürlich nicht bewusst, sondern ist ein verzweifelter Versuch des Unterbewusstseins, das Trauma zu bewältigen – indem man heute als Erwachsener eine ETWAS bessere Lösung findet als damals als Kind. Die ohnehin schon Geschädigten geraten in toxische Beziehungen hinein, binden sich an Narzissten oder Psychopathen, lassen sich körperlich und/oder finanziell ausnutzen oder sie landen bei einem sexuell dominanten Partner, der sich an ihrer Unterwerfung ergötzt, beispielsweise in Sado-Maso-Spielchen. Man mag diese Neigung jedem lassen, dem es damit gut geht und der sich an Gleichgesinnte wendet. Die Überlebenden von Kindesmissbrauch sollten besser Hilfe holen, wenn sie in solche Fänge geraten. Durch die ständigen Trigger geraten sie sonst in einem Strudel der Abhängigkeit, der kein Ende findet.
Wenn jemand mit diesem Hintergrund schon wieder in eine solche Beziehung geraten ist, kommt die Scham über das nicht geglückte Liebesleben zu all dem Kummer noch hinzu. Das Selbstwertgefühl wird von jedem weiteren Scheitern noch mehr zerpflückt.
Nach Jahren solcher giftigen Beziehungen ist das Selbstbild das eines Häufchen Elends, das froh sein kann, wenn es überhaupt leben darf. Dann erscheint es nur logisch, wenn man beleidigt, angeschrien oder geschlagen wird. Je länger die Qual dauert, desto schwieriger wird es, ihr zu entfliehen.
Eine Frau, die Kindesmissbrauch überlebt hatte, hing in der Beziehung zu einem Mann mit einer Boderline-Störung fest, der keine Gelegenheit ausließ, sie und die Kinder verächtlich zu machen. Sie sagte einmal „Mir geht es gut, wenn es mir schlecht geht.“ Da sieht man, wohin das führen kann, wenn die Notbremse nicht rechtzeitig gezogen wird.
Depression und Selbstmordgefährdung. Dass Menschen mit solchen Erfahrungen an den Rand ihrer Belastbarkeit geraten, ist nicht verwunderlich. Viele geraten in Depressionen, hängen unguten Gedanken nach, sie sind todtraurig, fühlen sich leer oder können keinen Sinn in ihrem Leben finden. Einige haben sogar Selbstmordgedanken. Der Gedanke kann mitunter entlastend sein, auch wenn die Betreffenden sehr erschrecken, dass ihnen ein Freitod in den Sinn kommt. Die meisten verüben ihn ja Gott sei Dank nicht. Natürlich braucht es spätestens hier eine professionelle Begleitung, die dem Leid des Patienten gewachsen ist.
Posttraumatische Belastungsstörungen. Die Depression kann auch im Rahmen einer PTBS auftreten. Dann finden sich zusätzlich, parallel oder abwechselnd, phasenweise oder chronisch noch andere körperliche, seelische und geistige Symptome. Sie hier alle aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen.
Alarmglocken. Hellhörig werde ich immer bei Autoimmunerkrankungen (der Körper attackiert sich selbst und keiner weiß, warum), chronischen Hauterscheinungen (Kontaktfläche in Aufruhr) und bei merkwürdigem Malheur im Mundraum. Es wundert mich immer wieder, wie wenige Zahnärzte den Zusammenhang zwischen vorzeitigem Zahnverfall bei Kindern und Missbrauch herstellen. Schließlich ist ihr Mundraum ein Tatort – zumindest vor dem 6.-8. Lebensjahr bevor andere Pforten infrage kommen.
Durch den dauernden Stress, die Angst und die Schmerzen, bleibt den Kindern „die Spucke weg“. Das ist eine Stressreaktion, die nicht nur bei dem Geschehen an sich auftritt, sondern immer, wenn sie in Angst sind – und diese Kinder sind ständig in Angst. Ihre Mundflora leidet unter dem Mangel an Speichel. Es kann zu Mundsoor (Pilzinfektion) und anderen Erkrankungen kommen. Zahnarztphobie ist weit verbreitet unter den Überlebenden von Missbrauch. Die Parallele liegt auf der Hand: Etwas Schmerzhaftes geschieht im Mund und man weiß weder genau, was da passiert, noch kann man der Behandlung entgehen. Man muss weiter den Mund aufsperren, auch wenn das wehtut. Zahnärzte ohne eine Sensibilisierung auf dieses Thema an den Patienten zu lassen, halte ich für grob fahrlässig.
Eine Überlebende von Missbrauch hat ihre Zahnärztin mithilfe eines Artikels auf den Zusammenhang aufmerksam machen wollen. Der Zettel verschwand im weißen Kittel und es wurde nie darüber gesprochen. Es wäre die Pflicht der Frau Doktor gewesen, beim nächsten Termin sensibel nachzufragen, was der Artikel für ihren Zusammenarbeit zu bedeuten hätte.
Wer auf solche Zwischentöne nicht lauscht, wird die sanften Andeutungen der Betroffenen überhören. Sie kommen nicht in die Sprechstunde gestürmt und rufen laut aus „Hey, ich habe in meiner Kindheit sexuellen Missbrauch erlebt. Bitte nehmen Sie Rücksicht auf die Auswirkungen meiner Vergangenheit.“ Eher sind sie ein bisschen ängstlicher als andere. Manche sind verschreckt und andere besonders umgänglich. Wieder andere laufen im „Terminator-Modus“ und legen sich (stellvertretend mit dem einstigen Peiniger) mit jedem an, besonders mit Autoritätspersonen.
Biotope. Vorweg will ich sagen, dass es ausgesprochen liebevolle und fürsorgliche Stief-, Pflege- und Adoptiveltern gibt, dass ich einige Mitarbeiter von Jugendheimen und Kindergärten kennengelernt habe, denen ich ohne zu zögern mein Kind anvertrauen würde. Aber das darf man nicht als selbstverständlich voraussetzen.
Wenn ich ein pädophiler oder psychopathischer Täter wäre und mir überlegte, wie ich unkompliziert an Kinder komme und dafür auch noch bezahlt werde, dann wären solche Einrichtungen meine erste Wahl. Tatsächlich sind mehrere Überlebende, die in meine Sprechstunde gefunden haben, bei Adoptiv-, Stief- oder Pflegeeltern aufgewachsen, die sie missbraucht haben. Über Kinderheime und Internate als Brutstätten des Missbrauchs hört man ebenfalls immer wieder Meldungen in der Presse. Menschen, die als Kind nicht im Elternhaus bleiben konnten, haben sowieso einen schwierigen Start ins Leben. Man kann sie sehr viel einfacher manipulieren als solche mit stabilem Zuhause bei Papa und Mama.
Auf meiner traditionsreichen und hoch angesehenen Schule, einem humanistischen Gymnasium in einem alt ehrwürdigen Gebäude im Herzen Weinheims gab es 1981 einen Skandal, als ein Lehrer eine 15-jährige schwängerte. Weitere Teenager waren in sexuelle Beziehungen zu dem Mann verwickelt gewesen. Er war ein beliebter Musik- und Vertrauenslehrer an der Schule. So etwas gibt es nicht nur in der Zeitung, sondern direkt hier in einer idyllischen Kleinstadt.
Einrichtungen, wo kleine Menschen den Lehrkräften vertrauen, auf deren Bewertungen angewiesen sind und oft unter Leistungsdruck stehen, wo täglich Kontakt zwischen Erwachsenen und Kindern herrscht, bei dem sich keiner etwas denkt, sind Gewässer, in denen sich – neben überwiegend ehrenwerten Pädagogen – leider auch Pädophile tummeln.
Naive Gefahrenquellen. Eine meiner Klientinnen erlebte einen Übergriff durch ältere Kinder. Das Geschehnis war eine Folge fehlgeleiteter Erziehungspolitik. Es gibt in der Kindertagesstätte „Höhlen“, in denen die Kleinen abgeschirmt von den Blicken der Erwachsenen erste sexuelle Erfahrungen machen sollen. Die Frau hat noch 20 Jahre später unter den Nachwirkungen des Erlebnisses gelitten. Und wer glaubt, damit sei das Problem schon ausgestanden, irrt: Häufig führt ein Übergriff zu einem weiteren. Die Täter scheinen instinktiv herauszufinden, bei wem die sexuelle Abwehr geschwächt ist oder lahmliegt und finden zielsicher ihre Opfer.
Wir können froh sein, dass die fortschrittliche Politik der GRÜNEN von dem Vorhaben wieder abgelassen hat, sexuellen Missbrauch straffrei zu stellen „wenn das Kind eingewilligt hat“. Wer je mit Missbrauch zu tun hatte, weiß ganz genau, wie solche Einwilligungen entstehen: durch Drohungen, Verführung, Manipulation und auch dadurch, dass die Kinder noch gar nicht wissen können, wozu sie da Ja sagen sollen. Manche ideologische Vorreiter aus dieser Zeit sind noch immer in Amt und Würden. Mir dreht sich jedes Mal der Magen um, wenn ich den Namen höre.
Die politischen Vorstöße muss man in Zusammenhang mit den psychologischen und pädagogischen Geisterbahnen der 1960er und 1970er Jahre sehen. Es gab Forschungsprojekte, mit denen man feststellen wollte, wie sich sexuelle Handlungen auf verhaltensauffällige Jungs auswirkt. Mit höchst richterlicher Genehmigung und unter Einbeziehung der Jugendämter wurden Kinder gezielt in die Betreuung von Pädophilen gegeben, um zu sehen wie sie sich unter dem Einfluss der sexuellen Erfahrungen weiterentwickeln. Erst jüngst kamen derartige Machenschaften ans Licht, weil zwei Überlebende von Kindesmissbrauch durch pädophile Betreuer das zuständige Jugendamt verklagten.
Soweit der kleine Ausflug in die Geschichte. Der nächste Abschnitt passt. Man müsste fast lachen, wenn es nicht so traurig wäre.
Das große Vergessen. Was der Geist oder die Seele nicht bewältigen kann, verschwindet manchmal in einer der untersten Schubladen des Gedächtnisses. Gar nicht selten haben Überlebende von Missbrauch Erinnerungslücken. Vor Gericht werden sie leider oft als Mangel an Glaubwürdigkeit gedeutet. Dabei handelt es sich um einen psychischen Selbstschutz, der das Überleben sichert.
Eine meiner Klientinnen hatte Jahrzehnte nach dem Missbrauch immer wieder „Absencen“. Tagelang war sie „weg“ und konnte sich an nichts erinnern, was geschehen war. Sie sah nur an den Veränderungen in ihrer Wohnung, was sie wohl gemacht hatte. Einer anderen Überlebenden fehlen die ersten 12 Jahre ihres Lebens bis auf wenige unerquickliche „Highlights“.
Manchmal kehren die Erinnerungen später zurück. Manchmal bleiben sie für immer verschüttet. Der Geist gibt nur frei, was die Seele verkraften kann. Ich würde mich nicht darüber ärgern oder mit Macht versuchen, mich zu erinnern. Der Schutzmechanismus hat einen Sinn.
Die Zeit heilt NICHT alle Wunden. Trauma ist eher so, wie wenn die Zeit stehengeblieben wäre. Die energetische Ladung der Ereignisse ist noch genauso hoch wie am Tag des Geschehens. Ein Trauma zu verarbeiten braucht vielleicht nicht immer eine Behandlung im psychotherapeutischen Sinne. Manchmal ist ein guter Freund der beste Therapeut. Hilfreich sind gegenteilige – also positive – Erfahrungen in stabilen und verlässlichen Beziehungen. Das gilt für alle Traumata.
Im Rahmen einer psychologischen Beratung lernen Betroffene, das Vergangene und Gegenwärtige neu zu bewerten, in ihre Biographie sinnvoll einzusortieren, andere Handlungsweisen zu erproben und in Zukunft besser für sich zu sorgen.
Was passiert ist, kann man nicht ungeschehen machen. Aber man kann lernen, mit den Nachwirkungen der Erlebnisse so umzugehen, dass sie einem nach all den Jahren nicht mehr täglich Schaden zufügen.
Der praktischste Tipp, den ich Ihnen aus meinen Erfahrungen als Traumatherapeutin geben kann:
ES IST VORBEI. Machen Sie sich bewusst, dass das traumatische Ereignis in der Vergangenheit liegt.
Ja, es mag noch ein paar Auswirkungen auf Ihre Gegenwart haben. Aber es wäre zerstörerisch, so zu tun als hielte die Pein unvermindert an. Das tut sie nicht. Unser Unterbewusstsein will uns davor bewahren, in dieselbe Katastrophe noch einmal hineinzugeraten. Das ist grundsätzlich gut. Wir wollen ja aus unseren Erfahrungen lernen. Doch mit der Zeit müssen wir wieder Vertrauen schöpfen. Nicht als blindes Vertrauen gegenüber jedermann. Schon mit Bedacht und Achtsamkeit. Das Vertrauen, das ich meine, ist gar nicht auf eine Person gerichtet, sondern auf das Leben an sich. Das ist der Weg.
Sich so zu verhalten, als könne dasselbe Trauma sich jederzeit wieder ereignen, die Horrorszenarien im Geiste lebendig zu halten, sich in lähmenden Vorsichtsmaßnahmen zu verlieren, verhindert Leben: lebendiges Leben.
Falls Sie aus Wiederholungszwang in einer Situation gelandet sein sollten, die Sie an die Kindheit erinnert, gibt es mehr berechtigte Hoffnung als damals. Jetzt sind Sie erwachsen. Ihnen stehen andere Möglichkeiten zur Verfügung, innere und äußere Ressourcen. Sie können auf Bewältigungsstrategien aus Ihrem Leben zurückgreifen, auf erworbene Fähigkeiten aus der Zwischenzeit. Ihr Umfeld ist wahrscheinlich ein bisschen vergleichbar, aber auch ein bisschen anders. Sie können Hilfe holen. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck einer gelungenen Selbstfürsorge.
Text: Petra Weiß