In meinem letzten Beitrag habe ich ausführlich über die möglichen Risiken von ungeerdeter Spiritualität gesprochen. Manipulation durch selbsternannte spirituelle Lehrer, geistige Führer oder andere Gurus können wir leider immer wieder beobachten. Sie ist eine Gefahr vor allem für Menschen, denen es von Natur aus an Stabilität und Sicherheit (ERD-Element) mangelt. Sie klammern sich manchmal an solche Autoritäten wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm.
Nun will ich aber auch die andere Seite beleuchten: Es gibt Umstände, unter denen es äußerst hilfreich sein kann, die Welt in Analogien zu betrachten. Beginnen wir mit einem persönlichen Ereignis, das mir erst kürzlich widerfahren ist:
In mein Büro verirren sich durch das geöffnete Dachfenster immer wieder Insekten. Die meisten Tiere befördere ich freundlich, aber bestimmt hinaus. Aggressive Wespen brauchen etwas mehr Gegenwehr als eine friedliebende Hummel oder ein Bienchen.
Keine Gnade kenne ich gegenüber Motten. Sie beschädigen meine Kleidung und verderben meine Nahrung. Ihre Maden finde ich ekelhaft. Es kostet mich Überwindung, sie zu entfernen. Solche Aktionen erinnern mich an die Dekontamination in Seuchengebieten.
Ein fataler Irrtum
Wenn ich eine Motte erblicke, mache ich daher kurzen Prozess. So kam es, dass ich in den letzten Tagen mit einer Zeitschrift nach etwas Flatterhaftem klatschte – und traf. Bei näherer Betrachtung war es aber gar keine Motte gewesen, sondern ein Marienkäfer mit ungewöhnlicher Farbgebung. Er war nämlich fast nicht zu erkennen, weil der Hintergrund seiner Punkte eine sehr ähnliche Farbe hatte wie die Punkte selbst. Also habe ich einen Glückskäfer zerschmettert.
Zu dem Zeitpunkt trieb mich eine Frage zu einer engen persönlichen Beziehung um. In das Verhalten eines nahestehenden Menschen interpretierte ich etwas hinein. Das tun wir allenthalben. Wir haben eine Weltsicht und ein Menschenbild, das sich durch unsere Erlebnisse zu bestätigen scheint. Zumindest, wenn wir sie immer wieder in demselben Licht betrachten. Normalerweise liegt es mir sehr, Dinge von unterschiedlichen Standpunkten aus zu untersuchen.
Doch auch ich habe traumatische Erfahrungen gemacht, die mich ab und zu auf eine bestimmte – für mich ungünstige! – Perspektive festnageln. So war es hier. Erst der erweitere Blickwinkel durch das Gespräch mit einer Kollegin half mir, eine versöhnliche Sicht einzunehmen. Der Bezug zu meinen frühen Kindheitserlebnissen war erkannt. Dadurch konnte ich meine Reaktion einordnen und das Geschehen neu bewerten. Das Thema ist zwischenzeitlich aufgelöst. Die belastenden Emotionen treten nicht mehr auf.
Dem Erlebten eine Be-deutung geben
Dass ich den Käfer umgebracht habe, hat mich sehr beschäftigt. Ich sehe gerne das Grundsätzliche im Konkreten. Also habe ich mich gefragt, wie ich dieses Erlebnis vor dem Hintergrund meiner aktuellen Entwicklung deuten könnte. Da fiel mir folgende Analogie ein:
„Ich darf das kleine Glück nicht zerstören, nur weil es anders aussieht als erwartet.“
Mit der Symbolhaftigkeit dieser Erfahrung kann ich etwas anfangen. Solche Ereignisse und ihre Be-Deutung bleiben mir lebhaft im Gedächtnis. Sie bewegen mich tief. Die daraus folgenden Erkenntnisse und Einsichten haben Einfluss auf meine Handhabung künftiger Lebenssituationen. Insofern sind sie außerordentlich wertvoll und hilfreich.
Ähnlich funktionieren spielerische Deutungen von Wolkenbildern oder der früher in der Psycho-Diagnostik übliche Rorschach Test: Der Patient betrachtet Tintenklekse und sagt, was ihm dazu einfällt. Die Klekse regen seine Phantasie an und bringen Unbewusstes zum Vorschein. Es sind also nicht die Klekse, die etwas aussagen, sondern die Bedeutung, die ihnen zugemessen wird. Hier besteht die Manipulationsmöglichkeit darin, dass der andere die Deutung übernimmt.
Deutungen sind subjektiv
Anhand der Traumdeutung will ich das Problem veranschaulichen: Auf dem Nachttisch meiner Mutter lag ein Buch über Traumdeutung. Darin war beschrieben, wie bestimmte Erscheinungen in Träumen zu deuten seien. Ich formuliere bewusst im Konjunktiv. Aus meiner Sicht ist es falsch, Leuten zu sagen, wie ihr Unterbewusstsein zu deuten ist. Später habe ich gelernt, dass ganz wesentlich ist, wie der Betreffende selbst seinen Traum erlebt. Das leuchtet mir ein. Dieselbe Szene kann von Angst geprägt sein oder von einem Gefühl des Unterstützwerdens.
Mir fällt ein Traum ein, in dem ich bei Gewitter und Sturm aus einem Helikopter ins Meer springe. Man könnte nun meinen: „Oh, wie schrecklich! Was für eine gruseliger Traum.“ Doch im Gegenteil war das für mich eine gute Erfahrung. Mein damaliger Arzt war nämlich in dem Traum dabei und gab mir ein Gefühl von Sicherheit in all den Turbulenzen. Das entsprach meiner gesundheitlichen Situation zu dem Zeitpunkt.
Von außen kann man nicht beurteilen, was ein Traum bedeutet. Manchmal fragen mich Patienten, was ein Traum ihnen sagen will. Woher soll ich das wissen? Darauf kann ich nur mit Fragen antworten. Es wäre vermessen, jemandem meine Interpretation aufzudrängen. Sobald sie im Raum steht, ist kein Platz mehr für eigene Einsichten. Und diese wären vielleicht wertvoll.
Wir Therapeuten und andere Berufsgruppen bringen viel zu oft unsere eigene Weltsicht ein, statt zu ergründen, wie der Patient etwas sieht und einstuft. Gute Coaches sind es eher gewohnt, den Klienten zu eigenen Schlüssen begleiten, statt in eine bestimmte Richtung zu beraten. Sie haben dazu ihre Fragetechniken und Konzepte.
Ich habe schon mehrfach pauschale Traumdeutungen entkräften müssen, damit der Patient seine eigene Symbolik findet. Nicht jeder Schlangentraum ist beispielsweise ein Zeichen für unterdrückte oder gar gestörte Sexualität. Für viele Menschen sind Schlangen stattdessen angsteinflößend, stehen für Heimtücke oder Verführung und vieles mehr.
Wie wir etwas ansehen, hängt unter anderem von kulturellen Einflüssen ab. Blicken wir nach Asien, so finden wir Schlangen im I-Ging, dem Buch der Wandlungen, als Zeichen für Heilung und Transformation. Als Europäer erschreckt man zunächst, wenn man den Text zu dem entsprechenden Hexagramm liest. Dabei müsste uns die Schlange als Bestandteil der Abbildung um den Äskulap-Stab als medizinisches Symbol eigentlich vertraut sein.
Man kann es auch übertreiben
Sich hilfreicher Analogien zu bedienen heißt nicht, jedes alltägliche Ereignis mit Symbolkraft zu versehen. Stuft man den Defekt der Waschmaschine als Störung im WASSER-Element ein und macht sich deswegen ganz verrückt, ist damit niemandem gedient. Nimmt man die harmlose Begebenheit aber als Erinnerung an den vernünftigen und begründeten Vorsatz, wieder etwas mehr WASSER-Element in Form von Ruhe und Entspannung in sein Leben zu bringen, ist dagegen nichts einzuwenden. Es kommt ganz darauf an, mit welcher Absolutheit eine Analogie verfolgt wird. Verbissenheit oder Engstirnigkeit sind nicht nützlich. Sie führen eher in fanatische oder gar wahnhafte Ansichten
Anfällig für Fanatismus sind immer die Unsicheren. Je weniger Stabilität man in sich selbst finden kann, desto mehr sucht man sie im Außen. In Elementen betrachtet könnte man sagen: Ein Mangel an ERD-Element begünstigt ein esoterisches Weltbild, weil sich dort so schön viele Regeln finden. Für ERD-Sucher kann dieses Koordinatensystem einen stabilisierenden Effekt haben. Doch leider führt derselbe ERD-Mangel dazu, dass man ums Verrecken an fixen Ideen festhalten muss.
Fraktale in Psychologie und Heilkunde
Der hermetische Grundsatz „wie im Großen so im Kleinen“ ist zwischenzeitlich in verschiedenen wissenschaftlichen Zweigen bestätigt. Etwas weniger spirituell ausgedrückt sprechen wir von „Fraktalen“. Die Natur zeigt uns viele beeindruckende Beispiele, wie sich in winzigen Fragmenten das Ganze abbildet. In der Naturheilkunde nutzt man diese Betrachtungsweise z.B. für die Ohrakupunktur, für die Fußreflexzonenmassage und andere bewährte Verfahren.
In der Psychologie sind Miniaturen von früheren Ereignissen als Traumatrigger bekannt. Der sogenannte Wiederholungszwang führt die Patienten treffsicher zu ähnlichen Erfahrungen bis das Thema durch neue Handlungsoptionen aufgelöst ist. Man könnte diese Form der Heilung durchaus als homöopathisch ansehen: Das gleiche Gift in geringer Dosierung stresst, ohne zu töten, und ermöglicht so die Bewältigung des Malheurs aus eigener Kraft.
Aus psychotherapeutischer Sicht muss man immer fragen, ob eine bestimmte Weltsicht dem Patienten eher dient oder eher schadet. Es steht uns nicht zu, jemandem seinen Glauben ausreden zu wollen, egal ob wir ihn für falsch oder richtig halten. Die Kunst kann sein, Ansichten, die nicht ohne erhebliche Destabilisierung des Patienten oder Gefährdung der therapeutischen Beziehung infrage gestellt werden können, stattdessen zu utilarisieren, also in der Therapie nützlich zu machen. Ein wunderbares Beispiel dafür finden Sie in dem Film „Patch Adams“ als der Mitinsasse einer Psychiatrie und spätere Psychotherapeut seinem wahnhaften Zimmerkollegen bei der Verteidigung gegen einen natürlich eingebildeten Eichhörnchen-Angriff hilft, damit er endlich in Ruhe aufs Klo gehen kann.
Sinn hilft der Genesung
Die Salutogenese-Forschung hat längst zutage gebracht, wie wichtig es für die seelische und körperliche Gesundheit ist, in dem Erlebten einen Sinn zu finden. Häufig wird dieser Sinn in einer religiösen oder spirituellen Vorstellung gesehen. Wieso sollten wir ihr in einer Therapiesitzung widersprechen, wenn es dem Betroffenen doch dabei gut geht?
Natürlich meine ich nicht die Idee, Gott wolle ihn mit einem Schicksalsschlag bestrafen. Solche Bewertungen sind selten hilfreich. Eine nützliche Betrachtungsweise hingegen ist, dass man aus dem Leid etwas lernen soll. Denn das macht man sowieso meistens. Dann kann danach geforscht werden, was man aus welchem Aspekt des Geschehens gelernt hat. Wie sich dadurch das Handeln bei einer ähnlichen Situation in der Zukunft ändern würde oder welche Wandlung das Welt- oder Selbstbild durch die Erfahrung gewonnen hat.
Zwei Seiten der Resonanz
Zwiespältig sind manchmal esoterische Betrachtungsweisen zum „Gesetz der Resonanz“. Dass es etwas mit uns zu tun haben kann, was wir da erleben, erleichtert die Übernahme von Verantwortung und so gewinnen wir sogar das Gefühl von Kontrolle ein Stück weit zurück.
Das muss aber nicht soweit gehen, dass z.B. jeder narzisstische Missbrauch „selbstverschuldet“ ist. Sie haben nichts falsch gemacht, wenn Sie einem Narzissten auf den Leim gegangen sind. Weder in diesem noch in einem früheren Leben. Sie haben sich ganz normal verhalten. Vielleicht waren Sie einfach unerfahren mit psychischen Störungen, weil sie solche Erlebnisse vorher nicht hatten. Und konnten sie deshalb zunächst nicht einordnen. Oder Sie hatten im Gegenteil ein narzisstisch gestörtes Elternteil und finden es normal, dass man sich Ihnen gegenüber abwertend und fies verhält. Wie auch immer: Es trifft Sie keine Schuld. Das kann buchstäblich jedem passieren. Und es passiert auch vielen. Weil Narzissmus ein weit verbreitetes Phänomen ist. Leider.
Eine Betrachtung ist dann dienlich, wenn der Betreffende daraus Schlüsse zieht, mit denen er sein Leben künftig so gestalten kann, dass er gut für sich sorgt, seine Emotionen regulieren kann und in seinen Lebensentscheidungen durch das Vorherige nicht übermäßig eingeschränkt ist. Übergangsweise kann sogar einmal eine Sicht helfen, die später wieder abgelegt und revidiert wird. Seelische Genesungsprozesse sind zuweilen verschlungene Pfade. Das Unterbewusstsein produziert oft unerwartete Lösungen.
Die Außenwelt als Spiegel der Seele
Zurück zu den hermetischen Gesetzen: „Wie innen so außen“ bedeutet, dass unser Umfeld ein Spiegel für unsere inneren Zustände sein kann. Das würde ich nie ausschließen. Ich würde aber auch nicht an der Überlegung kleben, wenn sich partout keine Parallelen finden lassen. Dann muss den Menschen nicht irgendeine Verdrängung eingeredet werden.
Tatsächlich ist es oft so, dass wir an anderen Eigenschaften besonders bemängeln, die wir an uns selbst ausblenden. Bei Projektionen kann dieser Grundsatz ein wertvoller Augenöffner sein, um sich mit seinen Schwächen anzunehmen. Und dadurch auch mit den Schwachpunkten unserer Mitmenschen gnädiger umzugehen.
Genauso häufig kritisieren wir aber Handlungen, die unseren Werten zutiefst widersprechen. Dann ist eine andere Herangehensweise sinnvoll. Sich nämlich der eigenen Wertehierarchie bewusst zu werden. Und die Andersartigkeit von Menschen zu akzeptieren, ohne dass man ihre Werte teilen muss.
Eine weitere Ursache für grundsätzlich berechtigte, aber mit erhöhter Emotionalität verbundene Kritik ist, dass wir überempfindlich auf Eigenschaften reagieren, die uns als Kind großen Schmerz bereitet haben. Dann erleben wir den leisesten Hauch davon als Bedrohung. Was verständlich ist. Aber nicht hilfreich für unsere erwachsenen Beziehungen. In diesem Fall ist es zweckdienlich, Bewusstsein für die allergische Reaktion zu schaffen und sie mit geeigneten Methoden aufzulösen.
Sie sehen: Das Thema ist vielschichtig und erfordert unterschiedliche Perspektiven. Vor allem verlangt es nach Fingerspitzengefühl. Platte Standard-Aussagen sind hier fehl am Platz. Analogien im eigenen Leben zu finden, Muster zu erkennen und sich aus ihrem Bann zu lösen, kann ausgesprochen befreiend sein. Wenn esoterische Haltungen dazu beitragen, ist dagegen nichts einzuwenden, genau wie bei jedem anderen spirituellen oder religiösen Weltbild. Wir müssen in jedem Fall achtsam bleiben und prüfen, was so eine Sicht bewirkt und ob sie uns (noch) dient.
Positive Psychotherapie arbeitet mit Parabeln
Nossrat Peseschkian, Neurologe, Psychiater und Begründer der positiven Psychotherapie hat mehrere Bücher mit Parabeln herausgegeben. Die Geschichten vermitteln lehrreiche Botschaften in blumiger Sprache. Auch hier geht es um Analogien. Selbst zu erkennen, was die Aussagen mit dem eigenen Leben zu tun haben, dient dem therapeutischen Prozess weit mehr, als wenn der Therapeut dem Klienten die Einsicht unter die Nase reibt.
Bei einem gemeinsamen Abendessen konnte ich vor vielen Jahren die Arbeit mit Symbolen beobachten, die Dr. Peseschkian virtuos beherrschte. Er malte einfach nur ein kleines Dreieck auf eine Serviette. Nur die Betroffene und ein paar wenige Eingeweihte wussten, dass er auf eine Dreiecksbeziehung unter den Anwesenden anspielte. Noch heute bin ich beeindruckt von dem winzigen Impuls und seiner großen Wirkung, die ich als Außenstehende und stille Mitwisserin miterleben durfte.
Das Symbolhafte in den Raum zu stellen, lässt Spielraum für persönliche Interpretationen. Der Phantasie ist die Manege eröffnet. Das Unterbewusstsein ist eingeladen, sich zu offenbaren. Ich habe Vertrauen, dass es sich immer nur soweit an die Oberfläche wagt, wie es der Mensch in dem Moment verkraften kann. Wenn er noch nicht bereit ist, wird sich gar nichts oder etwas Belangloses zeigen. Das muss man wissen. Sonst denkt man womöglich, solche Verfahren seien sinnlos und unwirksam.
Text: Petra Weiß
Bild: pexels.com / Vladimir Srajber